Migration.

„Migration ist meist ein hoffnungsvoller, mit großem Gestaltungswillen verbundener Prozess, der auch eine Herausforderung im Positiven darstellen.“
(Ingrid Gogolin, 2001, S. 1032) (Hervorhebungen durch mich)

Herausforderung?

Die erste Herausforderung die Kinder mit Migrationshintergrund haben ist, dass sie immer als „Kinder mit Migrationshintergrund“ betitelt und als diese abgestempelt werden. Nach dem Motto: Willkommen in der Schublade der ‚Statistikenfüller’ und Versager.

Wir sehen Migration oft als negative Herausforderung (für uns als PädagogInnen und auch für die Kinder). Doch sehen wir nie das Positive hinter dem Bild.

Kinder mit Migrationshintergrund müssen sich in der Gesellschaft immer mehr behaupten. Sie werden nicht nur von der Bildungsgesellschaft unter Druck gesetzt, sondern haben zusätzlich den Druck im Zuhause „Oglum/Kizim, okuda Adam ol!“ (sinngem.: Mein Kind, studier’/lerne und werde zu einer bedeutenden/erfolgreichen Person) und sie setzten sich immer mehr selbst unter Druck. So werden Kinder und Jugendliche nicht nur von außen getrimmt, sondern sie trimmen sich im Inneren auch selbst.

Denn sie wissen: wenn sie eine Zeit lang „schwach“ sind, zeigt man mit dem Finger auf sie. Sie sind dann die schwachen „Türken/Araber/xy…-Kinder“. Sie werden Teil einer schlechten Statistik wovon es zur Genüge gibt und sind nicht einfach nur in einer schlechten Phase.

Es werden Statistiken über sie erstellt und immer wird über sie gesprochen, statt auf die Idee zu kommen einmal auch mit ihnen zu sprechen. Die Personen die dann versuchen mit ihnen zu sprechen, sind Personen zu denen sie keinerlei Zugang haben. Ist sowas zielführend?

So sind Kinder und Jugendliche mit „Migrationshintergrund“ immer getrimmt einen Schritt voraus zu sein um sich in der Gesellschaft zu beweisen und zu behaupten.
Wenn wir den Förderwahn der Eltern schon so kritisieren, wie sehr ist dann so eine Art zu Leben zu kritisieren? Tut das einem jungen Menschen wirklich gut?

Aber abgesehen davon ob man das gut finden soll oder nicht – was macht das mit einem Menschen?
Um sich immer behaupten und beweisen zu können, muss man sehr ehrgeizig sein, über viel Disziplin verfügen und Vertrauen in sich selbst haben. Sind dies nicht Aspekte die bemerkenswert für Menschen in so jungem Alter sind?

Ein Teil der Top-Themen in Bezug auf Migration ist die Sprache.
Mehrsprachigkeit war und ist noch immer ein hoch angesehenes Gut in der Gesellschaft. Stellen wir uns vor: wenn ein Mensch zu uns kommt und meint er/sie spricht 5 Sprachen, sind wir dann nicht beeindruckt? Welch’ ein intelligenter und kultivierter Mensch, denken wir uns.
Doch wenn es Türkisch, Arabisch, oder ähnliches ist, ist es ein Zeichen von misslungener Integration. (?) So wird deutlich, dass einige Sprachen für Fortschritt und andere für Rückschritt stehen. Doch ist Sprache nicht gleich Sprache? Ist nicht jede Sprache gleichwertig?

Ist Sprache nicht etwas, dass die Welt verbindet und eint? Ist sie nicht ein Gut, das Welten bewegen kann?
So sollten wir Sprache als wertvoll und als wichtiges Gut ansehen und das so auch (in unserer Arbeit und unseren Alltag) kommunizieren.
Kinder und Jugendliche sollten nicht als minder angesehen werden, weil sie Zuhause eine andere Sprache sprechen oder gar Ablehnung erfahren.
Im Gegenteil, sie sollten wissen, dass das eine Ressource ist, die sie auch für die Gesellschaft nutzen können. Schließlich soll laut SGB 8 jedes Kind zu einem gesellschaftlich-sozialen Wesen herangezogen werden.

Stellen wir uns einen Selbstfindungsprozess vor, die Identitätsbildung eines jungen „Migranten“.
Als Migrant in einer deutschen Gesellschaft – zu welcher Seite gehört man?
Die Frage ist eine sehr zentrale Frage bei Kindern und Jugendlichen mit Mh.. Aber die entscheidende Frage die sich stellt: wieso muss man sich zwischen den Stühlen entscheiden?

Es gibt 3 Varianten die man hier anwenden könnte:
1. Man entscheidet sich für einen Stuhl der beiden: das führt entweder zu Assimilation oder zu „misslungenen Integration“.
2. Man entscheidet sich für keinen der beiden Stühle. Also steht man zwischen den Stühlen. Zwischen den Stühlen stehen bedeutet oft zu keiner Seite gehören. Ist dies förderlich für eine Identitätsbildung in solch „kritischen Lebensjahren“?
3. Man entscheidet sich für beide Stühle.

Variante 3 ist eines der Varianten die oft von der Gesellschaft als nicht-möglich betitelt werden. Doch frage ich nun, wieso sollte dies nicht möglich sein? Wieso muss man entweder das Eine oder das Andere sein? Wieso kann man sich nicht beiden Seiten zugehörig fühlen, zwei Stühle zu einem umbauen und seinen eigenen Identitäts-Stuhl entworfen haben?
Wieso kann man nicht zum Beispiel sagen: ich bin hier geboren und aufgewachsen. Ich sehe und definiere mich als Deutsche/r. Die Herkunft meiner Eltern sehe ich als Bereicherung und wertvolles Gut an, dass ich nicht ablegen möchte.

So sollten wir beginnen „Migration“ nicht nur immer mit negativen Dingen zu verbinden sondern mit all ihren Teilen (Sprache, Kultur, Geschichte…) als Bereicherung und Ressource wahr- und anzunehmen.

(Erklärung: Dieser Text ist ein Ausschnitt einer Präsentation die ich im Rahmen meines Studiums angehalten habe. Deshalb ist er vielleicht etwas unstrukturiert, da einige Teile aus dem Kontext gerissen sind. Ich habe versucht ihn so gut wie möglich zu ergänzen, damit man versteht, worauf ich hinaus möchte.
Dennoch wollte ich es hier teilen, da ich Dinge angesprochen habe, die mir persönlich sehr am Herzen liegen.)