Keine Gemeinschaft ohne Vergebung.

Ich habe mich vor wenigen Tagen mit einer Bekannten gestritten. Am Ende des Schreits, in dem ich womöglich meine eigenen Grenzen überschritten habe, und mich darin nicht mehr selbst erkannte sagte sie mir: Lies dir mal bitte deinen Text durch, den du vor einigen Tagen geschrieben hast. Sie meinte den Text über Kommunikation und Selbstdisziplin, in der ich eine Lehre aus der Schlacht von Uhud und der Niederlage zog für die Art und Weise, wie man mit Menschen umzugehen hat, die einem weh tun.

Und ja, ich habe darüber reflektiert und sie hat Recht, es ist die selbe Situation. Ich habe an dem Tag 49 Geschwister verloren an einen Krieg gegen den Islam und wurde zudem noch von einer Glaubensschwester, mit der ich Seite an Seite käpfe verletzt – sehr verletzt. Und ich habe es nicht geschafft Selbstdisziplin zu üben. Wie die letzten Male – ich habe ausgeteilt.

Und nun verstehe ich die Geschichte besser. Ich kann hineinfühlen, wie schwierig das für den Propheten gewesen sein muss, sich im Zaum zu halten. Nicht zu verletzen, nicht um sich zu schlagen. Es ist sehr schwer. Doch, wenn er sagt, er ist gekommen, um den besten Charakter zu vervollständigen, heißt es, dass das ein Teil des besten Charakters sein muss – Haliim zu sein. Nachsichtig, obwohl man jedes Recht und die Möglichkeit hat zu bestrafen.

Und heute ist mir, als ich an den Streit dachte eine Sure im Koran eingefallen. Sure Saff, 61. Die Reihen. Ich musste die ersten 4 Verse in einem Kurs auswendig lernen. Und seither rezitiere ich diese 4 Ayat bei jedem Gebet.

„Allah preist (alles), was in den Himmeln und was auf der Erde ist. Und Er ist der Allmächtige und Allweise.O die ihr glaubt, warum sagt ihr, was ihr nicht tut?Welch schwerwiegende Abscheu erregt es bei Allah, daß ihr sagt, was ihr nicht tut.Gewiß, Allah liebt diejenigen, die auf Seinem Weg kämpfen in Reihe, als wären sie ein zusammengefügter Bau.“ (61.1-4)

Ja, ich habe nicht getan, was ich gesagt und geschrieben habe. Ich bin meiner Enttäuschung und Trauer unterlegen. Doch am Abend stand ich neben ihr, mit 350 anderen Geschwistern, wie in Ayat 4 um unseren Verlust zu betrauern. Die nächste Stufe des Halims ist es zu verzeihen – ich muss verzeihen, um die beste Tugend zu erlangen!

Und als ich den Tafsir von M. Asad aufschlug überraschte es mich nicht, dass genau diese Zeilen bezogen sind, auf die Personen in der Schlacht Uhud, die ihren Posten verlassen und dadurch Schaden davon getragen haben. Sie haben sich nicht an ihr Wort gehalten. Die Verbindung die ich im Herzen zwischen den 2 Ayat gemacht habe, die hat Allah schon bestimmt.

Wieso? Weil Verletzung und Trauer, Verlust und Vergebung, Gemeinschaft und Vergebung immer Hand in Hand gehen.  Doch wie definiert Allah Vergebung? Allah ist Haliim! Der der mit der Bestrafung nicht eilt, und verzeiht, obwohl er die Möglichkeit und das Recht dazu hätte. Allah definiert Vergebung genau so. Nicht aber darin, dass man sich weiter der Erinnerung der Verletzung hingeben muss. Als nach der Schlacht von Uhud der Mörder seines Onkels zu ihm kam und dem Islam beitreten wollte, hieß er ihn willkommen, bat ihn aber, ihm fern zu bleiben, weil die Verletzung zu groß ist.

Vergebung bedeutet also, Selbstdisziplin, obwohl man Recht und Möglichkeit hat, nicht aber, die anderen Wange hinhalten. Sondern abschließen, wenn es besser so ist.

Gemeinschaft setzt aber Vergebung voraus. Sonst kann man nicht in einer Reihe stehen und kämpfen und trauern.

Möge Allah uns seinen Namen Haliim in unsere Herzen pflanzen, auf das wir uns durch Vergebung von der Wut erlösen können und möge Allah uns nebeneinander stehen lassen, in einer Reihe. Und uns zu der besten Form unseres Selbst machen, und an unser Wort halten lassen, und milde sein lassen mit den Menschen die uns verletzen.

In Gedenken an die Geschwister die in einer Reihe standen und in dieser Reihe ihr Leben ließen!

„Komm nur, ja komm nur, wer immer Du bist.“

Ich war schon auf einigen Anti-Pegida-Demonstrationen. Einige Male um zu beobachten, andere Male um mit zu laufen und einmal stand ich sogar da, und habe laut mit gepfiffen und gerufen. Doch jedes Mal, wenn ich den Platz verließ, habe ich mich gefragt, was das denn nun gebracht hat?

Die Pegida demonstriert immer noch, die Anti-Leute ebenso. Und man kommt einfach nicht auf einen Nenner. Oft habe ich mit Mit-Demonstranten darüber diskutiert, was man wirklich machen könnte, um die Gedanken der Gegenseite zu ändern, sie „aufzuklären“. Allein mit „Nazis raus!“ Rufen wird das sicherlich nichts.

Heute Morgen habe ich einen Artikel gelesen, der mir eine Antwort auf meine Frage zu geben scheint.

In Phoenix, USA organisierten einige Menschen eine „Anti-Islam Demo“. Die „Demonstranten“ waren mit T-Shirts bekleidet, die mit beleidigenden und rassistischen Sprüchen bedruckt waren und einige „Demonstranten“ waren sogar bewaffnet.

In der Nähe des Demonstrationsortes befand sich eine Moschee. (Scheinbar haben sie gegen die Moschee demonstriert). Die Reaktion der Moscheebesucher war eine Einmalige. Sie nutzen diese negative Stimmung, um etwas Positives zu tun und luden die Demonstranten in die Moschee ein, um ihre Fragen zum Islam und den Muslimen zu beantworten. Zwei Demonstranten nutzen diese Gelegenheit und berichteten später, dass sie danach ein komplett anderes Bild von der Religion und den Muslimen hätten, dadurch, dass sie das erste Mal in direkten Kontakt getreten sind. Die Moscheebesucher hätten all ihre Fragen beantwortet, und sie hätten erkannt, dass ihr Hass, ihre Angst und ihr Unmut unbegründet seien. Die beleidigenden T-shirts gegenüber den Muslimen würden sie sicherlich nicht wieder tragen, fügten sie noch hinzu.

Seit ich ein Kind bin wird mir die Geschichte erzählt, von einer Begebenheit des Propheten (s) und seinem jüdischen Nachbarn, der ihm immer seinen Müll vor die Tür warf. Der Prophet (s) erhob nie seine Stimme oder warf den Müll zurück. Er entsorgte den Müll jedes Mal. Als eines Tages kein Müll vor seiner Tür lag, fragte er den Sohn des Nachbarn, ob es seinem Vater gut ginge. Der Sohn meinte, sein Vater lege krank im Bett. Daraufhin besuchte der Prophet (s) seinen jüdischen Nachbarn, der zuvor Tage lang Müll vor seine Tür legte, um ihm gute Besserung zu wünschen.

Das ist die Art und Weise, in der Muslime und Menschen mit gutem Charakter handeln sollten, wenn sie Menschen begegnen, die ihnen mit Hass oder Unmut entgegen treten. 

Im Koran heißt es sinngemäß: „Euch euer Glaube, mir mein Glaube.“ (109:6). Oft wird dieser Vers als Abgrenzungslegitimation genommen. Ich sehe aber viel mehr in diesem Vers, nämlich eine Aufforderung zur Toleranz und Akzeptanz jenen gegenüber, die nicht das Selbe glauben (möchten) wie man selbst. Jedem das Seine, wie man so schön sagt.

Der Prophet (s) selbst wird im Koran als „Barmherzigkeit für alle Welten“ (21:107) beschrieben. Wenn der Prophet (s) das Vorbild eines jeden gläubigen Muslims ist, ist dann die Barmherzigkeit und die Liebe nicht eine Pflicht jedes Muslims?

Vielleicht liegt die Antwort auf die Frage des Hasses in der Barmherzigkeit, mit welcher wir Menschen begegnen sollten, die es eventuell nicht besser wissen?!…

Komm nur, ja komm nur, wer immer du bist. Rumi