Freund:innenschaften & das Gute

Vor einigen Tagen saß ich mit besonderen Menschen an einem Tisch, im Freien, mit Getränken und Popcorn und plötzlich entwickelte sich das Gespräch zu einem mit ernsten Themen aber mit einer seltenen Leichtigkeit. Eine Person erzählte von ihren zwischenmenschlichen Beziehungen, wie sie diese nutzt und pflegt. Es dauerte nicht lang und das Thema „Freundschaft“ – das mich über die letzen Monate sehr viel Zeit, Gedanken und Kraft gekostet hat- kam auf.

Eine Person erzählte, dass man ja immer sage: Gute Freund:innen sind in deinen schlechten Tagen da. Das stimme so nicht, erzählte sie, und erläuterte warum. Denn gute Freund:innen sind nicht jene, die bei dir sind und dich trösten wenn du weinst oder eine schlimme Zeit durchmachst. Klar, ist das ein Bestandteil von Freund:innenschaft. Aber wenn du aus dem Gespräch und deinem vermeintlichen „Für dich Dasein“ raus gehst und dir denkst: „puh, die Arme, zum Glück bin ich nicht in so einer Situation“, oder dich gar an Leid der anderen unbewusst ergötzt, ist das dann nicht paradox?

Ehrlich gesagt weiß ich gerade nicht ob ich gut in Worte fassen kann was ich meine, ich glaube es wird klarer wenn der nächste Schritt kommt. Denn welches sind denn nun die guten Freund:innen? Es sind die, die an deinen schönen, deinen erfolgreichen und deinen glücklichen Tagen ebenso bei dir sind. Es sind Menschen die sich für deinen Erfolg freuen können, und darin keine Konkurrenz oder Bedrohung für sich selbst sehen. Es sind jene, die mit dir Lachen wenn du glücklich bist, sich aufrichtig für und mit dir freuen, ohne Missgunst zu hegen. Es sind jene, die dir alles gönnen was du erreichst, tust, und an Gutem erlebst, ohne jeglichen Hintergedanken. Es sind die Menschen, die sich über dein Glück freuen und du dich über ihr Glück freust. Wo man auseinander geht und sich nicht schlecht fühlt, ausgelaugt und gar klein. Sondern einfach nur dankbar. 

In dem Moment als ich den Worten lauschte hatte ich einen sogenannten „Mindblow – Moment“. Und ich dachte mir nur: ja! Ja, das stimmt. Und es erklärt so vieles! Es sind nicht die Menschen, die dir versprechen an jedem deiner schlechten Tage bei dir zu sein (was sie im Endeffekt eh nicht sind), sich aber abwenden und missgünstig sind, wenn du erfolgreich (je nach dem wie man Erfolg definiert) und Glücklich (je nach dem wie man Glück definiert) bist. 

Es sind die Menschen, die sich über deinen beruflichen Werdegang freuen und dich nicht versuchen im eigenen Schatten zu halten. Es sind die Freund:innen die sich für deine „gut laufende“ Partnerschaftsbeziehung freuen, und dir nicht ständig sagen, wie dankbar du doch sein solltest und es ja jeder Zeit vorbei gehen könnte. Es sind die Menschen, und auch Familienmitglieder die nicht versuchen bei jedem deiner schönen Momente einen negativen Touch da zu lassen, denn: wehe du bist zufriedner als sie! 

Und dann fällt mir eine weitere Sache ein. Ich sprach mit meiner Koranexegese-Lehrerin vor langer Zeit über das Gut-sein. Dass wir Mumin, also Gläubige nach dem Guten streben und deswegen versuchen so gut wie möglich zu sein und Gute Werke zu tun. So werden Gläubige im Koran unter anderem beschrieben.

Und nicht nur das: es geht um die Frage der Absicht. 

Ich habe mich nämlich das letzte Jahr unglaublich viel hinsichtlich freundschaftlicher Beziehungen und familiärer Beziehungen gefragt. Mir regelrecht den Kopf zerbrochen. Und jedes Mal kam die Frage auf: Wieso? Wieso sagen sie das? Wieso tun sie das? Wieso sagen sie nichts? Wieso bringen die Menschen immer etwas Negatives ein? Machen darauf aufmerksam was SIE sind und du nicht bist. Das, was du NICHT hast, statt Anerkennung dafür zu zeigen, was du geschafft hast, und und und. Und wenn man sie von außen betrachtet sind sie die reflektiertesten und liebsten Menschen. Ihr wisst. 

Und dann wurde mir heute klar: weil die Menschen nicht Gut sind oder sein wollen für einen größeren Sinn und Zweck. Weil wir, ich eingeschlossen, nicht verinnerlicht haben, dass das Gute um des Guten Willen getan wird. Weil wir dahinter sind, dass Gute für die Menschen zu tun, weil sie sehen sollen wie gut wir sind, um im Endeffekt, dass wir besser sind als sie, dass wir ihnen überlegen sind. Weil uns die Demut gegenüber der Schöpfung und dessen Gaben fehlt. Und weil wir nach wie vor mit der größten Herausforderungen kämpfen: Sucht nach Anerkennung und Hochmut. 

Ich habe für mich mitgenommen: ich möchte üben, mich nur mehr für Menschen zu freuen, das Gute und Schöne  in den Fokus zu rücken. Wenn negatives aufkommt, nicht zu sprechen sondern mich zu fragen, woher das kommt. Ich möchte mehr Schönes sprechen. Ich möchte Gutes um des Guten Willen tun. 

Ich möchte Menschen aus meinem Leben möglichst entfernen, die Gutes um des Menschen Willen und der Sichtbarkeit und Anerkennung wegen tun. Und ich möchte Freund:innen und Familie, die sich für mein Glück freuen und mich darin unterstützen können. 

PS: mit ist klar, dass jeder Mensch, auch ich, nach Anerkennung und Sichtbarkeit strebt. Das ist mMn ein Grundbedürfnis von Menschen. Was ich aber meine, ist der Negative Aspekt des Ganzen. Der Aspekt, der dazu führt, dass andere Menschen verletzt werden.

Demut und Bescheidenheit.

Ich erinnere mich an eine Überlieferung, in der es um die Reise von Omar r.a. nach Jerusalem geht. Omar r.a. war mit einem seiner ‚Diener’ auf der Reise nach Jerusalem. Die Beiden hatten ein Reittier und wechselten sich während der Reise mit dem Reiten ab. Dabei gab es keinen Unterschied bei der Zeit des Reitens zwischen dem damaligen Kalifen Omar r.a. und seinem Diener.

Als die beiden die Tore der Stadt erreicht hatten war der Diener gerade an der Reihe zu reiten und Omar r.a. lief. Der Diener bat den Kalifen darum wieder auf das Tier zu steigen, da er befürchtete man könnte sie verwechseln. Omar r.a. bestand aber auf das Recht des Dieners diese Strecke zu reiten und war nicht zu stolz möglicherweise mit einem Diener verwechselt zu werden.

Tatsächlich trat die Befürchtung des Dieners ein und die Bewohner der Stadt dachten, dass der Diener der Kalif sei, und der Kalif Omar r.a. der Diener, da er lief und der Diener ritt.

Omar r.a. war und ist schon immer als ein harter, starker und stolzer (nicht im negativen Sinne) Mann bekannt. Doch obwohl er damals eine besondere Stellung in der islamischen Welt hatte, und zwar die des Kalifen, war sein Gerechtigkeitssinn und vor allem aber seine Demut und Bescheidenheit so groß, dass er dem Diener nicht sein Recht nehmen wollte, noch machte es ihm etwas aus, mit Diesem deshalb verwechselt zu werden.

Ich will zu dieser Geschichte eigentlich nicht viel schreiben. Ich denke sie spricht für sich. Durch die vielen Möglichkeiten die uns mittlerweile gegeben sind, ist es uns ein leichtes in die Öffentlichkeit zu treten und vielleicht sogar uns „einen Namen“ zu machen. Man wird bekannt, Leute hören auf die Meinung und auf das Wort das man spricht und irgendwann hat man eventuell hier und da sogar Einfluss. Doch sollten uns diese Dinge unseren Gerechtigkeitssinn, aber vor allem nie unsere Demut gegenüber Allah und auch seinen Geschöpfen und noch weniger unsere Bescheidenheit nehmen.

Erhobenen Hauptes zu laufen zeugt von Stärke. Und Stärke in der Sache für die man ein tritt ist gut. Doch wenn das Haupt erhoben ist auch Hochmut und falschem Stolz, dann sollte man an den Kalifen denken, dem es nichts ausmachte mit einem Diener verwechselt zu werden und der nie seine Bescheidenheit und Demut verlor.

Der Prophet Muhammad (Segen und Frieden seien auf Ihn) warnte uns vor einem Fünkchen Hochmut im Herzen. Möge Gott uns helfen, diesen Fünkchen auszulöschen, nie zum brennen zu bringen oder zu verringern bist er irgendwann ganz weg ist.
Amen.