Wieso eigentlich der ganze Stoff II.

Vor Kurzem hat meine liebe Freundin Hatice Kahraman im Rahmen ihres Praktikums beim SPIEGEL ein Mini – Interview mit mir, und mit 3 anderen muslimischen Frauen/Mädchen geführt. Dafür danke ich ihr und hier das Ergebnis. (auf das Bild oder den Link klicken – erscheint mit neuem Tab)

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Artikel: http://www.bento.de/gefuehle/muslima-erzaehlen-warum-sie-kopftuch-tragen-16122/

Sei doch dankbar, dass du hier überhaupt studieren/zur Schule darfst.

meyeBildquelle: Meryem Bercin – meyebe.wordpress.com

Ich habe in letzter Zeit wieder viele Gespräche darüber geführt, wie meine früheren LehrerInnen mit mir, meiner Religionszugehörigkeit und vor allem mit meinem Kopftuch umgegangen sind.

Mir ist eine Gegebenheit eingefallen, in der eine Lehrerin das Kopftuch „kritisierte“ und ich versuchte gegen ihre „Kritik“ zu argumentieren. Irgendwann (als ihr nichts mehr einfiel) sagte sie:

„Weißt du Eşim, sei doch dankbar, dass du überhaupt hier zur Schule gehen darfst. Wenn du da wärst, wo du herkommst, dürftest du wahrscheinlich als Mädchen gar nicht die Schule besuchen.“

Ich glaube das war irgendwann in der 7. Klasse.
Ich wusste gar nicht, dass Mädchen aus der Kleinstadt (in Deutschland!) aus der ich komme die Schule nicht besuchen dürfen. Erschreckend!

Als ich auf der Oberstufe war und mit einem meiner Lehrer über Diskriminierung bei der Studienplatzvergabe (ja, so einen Fall gab es damals) von Mädchen mit Tuch sprach, meinte er mit ernster Miene: „Ich weiß gar nicht, wieso sich manche so anstellen. In der Türkei, wo ihr doch herkommt, dürftet ihr mit Tuch gar nicht erst das Uni-Gelände betreten. Studiert doch einfach irgendwas, nicht jeder kann das bekommen was er möchte. Hier dürft ihr wenigstens studieren.“

Abgesehen davon, dass die Lehrerin in der 7. Klasse und der Lehrer aus der Oberstufe (noch) nicht verstanden haben, dass „da wo ich herkomme“ eine Kleinstadt in Deutschland ist, war ihre Argumentation immer die, dass wir doch dankbar für das sein sollten, was „wir“ hier alles dürften.

„Wir“ = „Die mit Kopftuch, die von ‚woanders‘ herkommen“

Heute ist mir eine Passage aus der Autobiografie von Malcolm X eingefallen, mit der ich zu diesen Meinungen Stellung beziehen möchte:

„…oder dass eine Universität im Süden einen  schwarzen Studienanfänger eingeschrieben hatte, ohne dass die Nationalgarde ihre Bajonette aufpflanzen musste. Wenn ich so „abschweifte“, dann zappelte der Moderator am Haken: „Ahhh! Nun, Mr. Malcolm X –  Sie können nicht leugnen, dass das ein Fortschritt für Ihre Rasse ist!“
Das war der Moment, die Leine stamm zu ziehen: „Ich kann nicht einen einzigen Schritt tun, ohne mit etwas über ‚Fortschritte bei der Verwirklichung der Bürgerrechte‘ anhören zu müssen! Weiße glauben anscheinend, der Schwarze müsste in einem fort „Halleluja“ jauchzen! Seit vierhundert Jahren steckt das Messer des weißen Mannes im Rücken der Schwarzen – und jetzt fängt der Weiße an, das Messer ein winziges Stück herauszuziehen. Dafür sollte der Schwarze dankbar sein? Nun, selbst wenn der Weiße das Messer in einem Ruck ganz herauszöge, es bliebe immer noch eine Narbe zurück.““

(Malcolm X – Die Autobiografie, S. 285)

Ich weiß, dass das ein krasser Vergleich ist, aber das Denken und die Herangehensweise ist meiner Meinung dieselbe. 

Wenn man seine Texte in Hass-Foren entdeckt.

Es ist Nacht und in dieser Nacht, so wie in vielen anderen auch, scheint es mir nicht vergönnt zu sein Schlaf zu bekommen.  Also treibe ich mich hier und da im Netz rum, lese dies und das und als ich auf meine Blog Statistiken komme, in denen unter anderem auch immer angezeigt wird von welcher Verlinkung die Personen auf meinen Blog kommen fällt mir eins auf. Ich klicke drauf. 

Ich lande auf einem Forum(von dem ich noch nicht ganz verstanden habe zu wem oder was es gehört) das „leicht islamkritisch“ angehaucht zu sein scheint. Und schnell erkenne ich, wieso mein Blog dort verlinkt wurde – um einige Artikel von mir auseinander zu nehmen. 

Die Personen in dem Forum machen sich „Sorgen“. Sie machen sich Sorgen um Deutschland, ihre Kinder, die Freiheit, die Religionszugehörigkeit und vor allem machen sie sich Sorgen wegen dem neuen „Kopftuchurteil“ über das ich geschrieben hatte. 

Ich bin erschrocken, geschockt, ja, ich bin entsetzt was alles geschrieben wird! Und meine Texte, mit denen ich versuche meinen Mitmenschen einen Einblick in die (Gefühls-)Welt einer Muslima zu verschaffen, mit denen ich versuche klar zu stellen, dass ich frei bin und mein Kopftuch liebe-  ja meine Texte – mitten in dieser Brut von Hass. 

Einer schreibt: „Ich kenne Muslimas und alle die das Kopftuch abgelegt haben, haben es getan um freier zu sein. Die schwachen tragen es immer noch.“ 

Die Schwachen tragen es noch? Jeden Morgen seit 13 Jahren stehe ich auf und setzte mir das Stück Tuch auf den Kopf, für das ich mich aus freien Stücken entschieden habe. Seit der Minute in der ich begonnen habe es zu tragen werde ich beleidigt, beschimpft,  werde zu Sozial Arbeitern zitiert, ich werde nieder gemacht ich werde schräg angeschaut. Mein Kopftuch macht mich wohl zu eines der stärksten und durchhaltefähigsten Frauen überhaupt! Mit den ganzen anderen musl. Frauen, die eines tragen. Wenn man jeden Tag damit rechnen muss etwas Negatives zu erfahren, wegen einer Sache zu der man sich freiwillig entschieden hat – wie kann man solch‘ eine Person dann als schwach und eine andere als stark betiteln? Es ist wahre Stärke sich Tag für Tag damit auseinander zu setzten als davor wegzulaufen! 

Weiter schreibt eine: „ich frage mich, wie frei kann eine Frau sein, der von Kindheit an möglicherweise beigebracht wurde, dass sie ein Kopftuch tragen muss. Ein Kind möchte seinen Eltern gefallen. Es hat doch oftmals gar nicht die Wahl gehabt frei zu entscheiden.“

Ich erinnere mich wie ich 8 Jahre alt war und unbedingt das Kopftuch aufsetzten wollte – was ich dann auch getan habe. Als mein Vater mich am Abend dann mit dem Tuch sah rief er mich zu sich. Er sagte mir: „Weißt du wieso eine Frau im Islam das Tuch tragen soll und sich islamgerecht kleiden soll? Kannst du mir sagen, wieso du dieses Tuch trägst – theologisch und menschlich begründet?“ Ich verneinte. Ich was 8 Jahre. Ich wollte es einfach nur tragen! Auf meine Verneinung hin sagte er: „Dann bitte ich dich es abzusetzen. Du kannst es tragen wenn du das verinnerlicht hast was dich dazu bringt das Tuch zu tragen.“ Ich denke, eine weitere Antwort auf solch‘ einen unüberlegten Kommentar brauche ich nicht mehr zu geben. Mit 10 Jahren habe ich dann das Kopftuch aufgesetzt. Geheim vor meinen Eltern, als sie verreisen mussten und ich bei meiner Familie blieb. Ich wollte meinen Eltern nicht gefallen – ich wollte das tun, was ich für richtig halte. Wie man sieht wurden wir dazu erzogen zu verstehen was wir tun und dann zu handeln und nicht, blind zu folgen! Niemand würde meine Eltern dafür rügen, mir damals nicht meinen Willen gelassen zu haben. Aber jeder nimmt sich das Recht heraus, meine Eltern  dafür zu verurteilen, dass ich ein Kopftuch trage? Wie paradox! 

Aber das war noch nicht alles – weiter schreibt einer zum Urteil: „Vor dem Hintergrund des Urteils des BVerfG wird es Generationen
von jungen Mädchen und Frauen mit muslimischen Wurzeln in der
Zukunft noch schwerer fallen sich aus dem Klammergriff von
religiösem Dogma und archaischer Tradition zu lösen um ein
selbstbestimmtes und unbeschwertes Leben in Freiheit führen zu
können. Das Urteil stützt die Partikularinteressen der Islamverbände
und behindert die Möglichkeiten zwischenmenschlicher Begegnung,
vielleicht auch Liebe von „Hans“ und „Ayshe“. So kann Integration
nicht gelingen, ein Urteil mit unabsehbaren Folgen und ein eklatanter
Widerspruch zu moderner Frauenpolitik und Gender Studies.“

Ein selbstbestimmtes und unbeschwertes  Leben können muslimische Menschen nur dann führen, wenn die Gesellschaft sie als Solche akzeptiert und ihnen nicht die Wege versperrt. Das Urteil von März 2015 war ein wichtiger Schritt dahin. Muslimische Frauen sind so frei und so reflektiert (auch durch das, was sie erleben), dass sie sehr wohl in der Lage sind, sich von „Klammergriffen“ zu „befreien“ wenn sie es denn möchten. Das Urteil bietet gebildeten muslimschen Frauen nur eine Möglichkeit frei ihrer Arbeit nachzugehen!

Seit Tagen geht mir ein Kommentar einer Kommilitonen durch den Kopf und ich schaffte es einfach nicht darüber zu schreiben. Sie sagte: „Mein Mitbewohner hat mich gefragt, wie du so reflektiert, frei und so ein denkender Mensch sein kannst obwohl du Muslima bist und dich so einschränken lässt, wie z.B. mit dem Kopftuch.“

Ich bin ein freier, denkender und reflektierter Mensch, eben WEIL ich Muslima bin. Wenn seit der Kindheit immer alle Blicke auf einen gerichtet sind, man jede Handlung doppelt abwägen muss, weil es immer auf die Religionszugehörigkeit oder die Herkunft der Eltern geschoben wird, fängt man sehr früh an zu reflektieren. Dann sucht man Vorbilder die es auch geschafft haben, so großem Druck und oft auch Diskriminierung standzuhalten. Ich bin damals auf die weiblichen Sahaba (Gefährtinnen des Propheten saw. in seiner Angelegenheit) gestoßen, die mir Mut machten, mich zur Bildung und Aktivität inspirierten. Primär hat mich der Koran das selbstbestimmte Leben gelehrt in dem er sagt: „Es gibt keinen Zwang im Glauben“ (2:256) Weiter haben mich die Sahaba das kritische Denken und das Hinterfragen gelehrt. Sie haben sich nicht gescheut bei Unklarheiten den Propheten saw. zu fragen. 

Ich nehme an, es macht einen Unterschied ob man als Kind/Jugendlicher starke, mutige und bedeutsame Personen als Vorbilder hat oder Teenie-Stars die einem nicht viel geben können.

Ich finde muslimische Frauen sollten sich nicht rechtfertigen müssen, wieso sie ein Tuch tragen, sich für eine Religion entscheiden oder ähnliches. Niemand (!), kein Mensch der Welt sollte sich für eine Identität rechtfertigen müssen, für die er sich frei gewählt hat. Und niemand sollte sich das Recht nehmen zu denken, er kenne einen Menschen oder eine Gruppe von Menschen besser als sie sich selbst. 

Danke, ich muss nicht befreit werden. Meine Seele ist bunt, mein Herz ist hell und mein Kopf ist klar! Ich empfehle  diesen Menschen, ihre Seele mit einer anderen Farbe zu bemalen als mit einer, ihr Herz für andere zu öffnen und ihren Kopf von Schrott frei zu schaufeln! 

Rede an die Menschheit. (Chaplin)

“Es tut mir leid aber ich möchte nun mal kein Herrscher der Welt sein, denn das liegt mir nicht. Ich möchte weder herrschen, noch irgendwen erobern, sondern jedem Menschen helfen, wo immer ich kann. Den Juden, den Heiden, den Farbigen, den Weißen. Jeder Mensch sollte dem anderen helfen, nur so verbessern wir die Welt. Wir sollten am Glück des andern teilhaben und nicht einander verabscheuen. Haß und Verachtung bringen uns niemals näher. Auf dieser Welt ist Patz genug für jeden, und Mutter Erde ist reich genug, um jeden von uns satt zu machen.

Das Leben kann ja so erfreulich und wunderbar sein. Wir müssen es nur wieder zu leben lernen. Die Habgier hat das Gute im Menschen verschüttet und Mißgunst hat die Seelen vergiftet und uns im Paradeschritt zu Verderb und Blutschuld geführt. Wir haben die Geschwindigkeit entwickelt aber innerlich sind wir stehen geblieben. Wir lassen Maschinen für uns arbeiten und sie denken auch für uns. Die Klugheit hat uns hochmütig werden lassen, und unser Wissen kalt und hart. Wir sprechen zu viel und fühlen zu wenig. Aber zuerst kommt die Menschlichkeit und dann erst die Maschinen. Vor Klugheit und Wissen kommt Toleranz und Güte. Ohne Menschlichkeit und Nächstenliebe ist unser Dasein nicht lebenswert.

Aeroplane und Radio haben uns einander näher gebracht. Diese Erfindungen haben eine Brücke geschlagen, von Mensch zu Mensch. Die erfordern eine allumfassende Brüderlichkeit, damit wir alle Eins werden. Millionen Menschen auf der Welt können im Augenblick meine Stimme hören. Millionen verzweifelter Menschen, Opfer eines Systems, das es sich zur Aufgabe gemacht hat Unschuldige zu quälen, und in Ketten zu legen. Allen denen die mich jetzt hören rufe ich zu : Ihr dürft nicht verzagen! Auch das bittere Leid das über uns gekommen ist, ist vergänglich. Die Männer, die heute die Menschlichkeit mit Füssen treten werden nicht immer da sein. Ihre Grausamkeit stirbt mit ihnen, und auch ihr Hass. Die Freiheit, die sie den Menschen genommen haben, wird ihnen dann zurückgegeben werden. Auch wenn es Blut und Tränen kostet, für die Freiheit ist kein Opfer zu groß.

Soldaten vertraut euch nicht Barbaren an, Unmenschen die euch verachten, und denen euer Leben nichts wert ist, ihr seid für sie nur Sklaven. Ihr habt das zu tun, das zu glauben, das zu fühlen. Ihr werdert gedrillt, gefüttert, wie Vieh behandelt, und seid nichts weiter als Kanonenfutter. Ihr seid viel zu schade für diese verehrten Subjekte. Diese Maschinenmenschen, mit Maschinenköpfen, und Maschinenherzen. Ihr seid keine Roboter, ihr seid keine Tiere, ihr seid Menschen! Erwahrt euch die Menschlichkeit in euren Herzen und hasst nicht, nur wer nicht geliebt wird hasst, nur wer nicht geliebt wird. Soldaten kämpft nicht für die Sklaverei, kämpft für die Freiheit.

Im siebzehnten Kapitel des Evangelisten Lukas steht : Gott wohnt in jedem Menschen. Also nicht nur in einem oder in einer Gruppe von Menschen. Vergesst nie, Gott liegt in euch allen, und ihr als Volk habt allein die Macht. Die Macht Kanonen zu fabrizieren, aber auch die Macht Glück zu spenden. Ihr als Volk habt es in der Hand, dieses Leben einmalig kostbar zu machen, es mit wunderbarem Freiheitsgeist zu durchdringen. Daher im Namen der Demokratie : Laßt und diese Macht nutzen! Laßt uns zusammen stehen! Laßt uns kämpfen für eine neue Welt, für eine anständige Welt! Die jedermann gleiche Chancen gibt, die der Jugend eine Zukunft und den Alten Sicherheit gewährt. Versprochen haben die Unterdrücker das auch, deshalb konnten sie die Macht ergreifen. Das war Lüge, wie überhaupt alles, was sie euch versprachen, diese Verbrecher. Diktatoren wollen die Freiheit nur für sich, das Volk soll versklavt bleiben. Laßt uns diese Ketten sprengen! Laßt uns kämpfen für eine beseere Welt! Laßt uns kämpfen für die Freiheit in der Welt, das ist ein Ziel, für das es sich zu kämpfen lohnt. Nieder mit der Unterdrückung, dem Hass und der Intoleranz! Laßt uns kämpfen für eine Welt der Sauberkeit. In der die Vernunft siegt, in der uns Fortschritt und Wissenschaft allen zum Segen reichen. Kameraden, im Namen der Demokratie : Dafür laßt uns streiten!”