Ein Syrer – viele Erinnerungen.

Ich laufe zur Bahn habe es unglaublich eilig. Es ist erst Mittag und ich habe viele Termine hinter mich gebracht.
Ich muss die Bahn bekommen sonst kann es sein, dass ich zum nächsten Termin zu spät komme. Ich mag es nicht zu spät zu kommen. Ich mag es auch nicht so viele Termine zu haben. Aber das einzige in den letzten Tagen woran ich denken konnte waren die vielen Termine.
Ich verpasse sie – die Bahn – natürlich; in dem Moment, in dem ich den Tür – Knopf drücken will fährt sie ab.
Ich laufe zum Automaten paar Schritte daneben.

Ich erkenne ihn, diesen jungen Mann schon von weitem. Er sticht mir ins Auge, da er genauso sitzt, mit der gleichen Haltung mit dem selben verlorenen Blick wie viele, die ich in der Türkei getroffen habe. Ich weiß, dass wir reden werden.

Ich gehe an den Automaten. Bin dabei meine Karte zu ziehen.
Er schaut mich an kommt auf mich zu
‚Marhaba!‘
‚Marhaba.‘
‚Arabi?‘
‚La, Turki.‘
‚İstanbul?‘
‚La, min Gaziantep wa Urfa.‘
Seine Augen blitzen auf, er zieht die Augenbraue hoch.

Ich merke, wahrscheinlich ist er einer der Millionen die in die Türkei kamen nach Gaziantep oder eben Urfa, weil die Meisten durch diese beiden Städte kommen. Vielleicht dadurch nach Europa auf der Suche nach Frieden, Ruhe, Leben.

Ich habe meine Karte, drehe mich leicht weg und sage ‚wasalam u alaikum‘. Er geht und setzt sich wieder auf die Bank. Er wartet auf keine Bahn oder keinen Bus. Er sitzt einfach nur da. Einsam und perspektivlos. Wie die Menschen in der Türkei Stunden auf den Bänken in den Parks saßen – einsam und ohne Grund.

Gerne hätte ich ihm gesagt, dass er nicht aufgeben soll. Dass er weiter machen muss! Er und die anderen Menschen deren Leben vom Krieg gestohlen worden sind. Ich hätte ihm gerne gesagt, dass er sein Bestes geben soll, dass er die Chancen die er hier haben könnte, und im Leben haben kann ausnutzen muss!

Ich erinnere mich wie mir mein syrischer Bruder in der Türkei sagte:

‚Mir macht es nichts mehr aus zu sterben, Eşim. Ich habe keine Angst mehr davor. Ich habe keine Pläne, keine Ziele – ich habe kein Leben mehr. Mir macht es nichts aus, weil ich so oft kurz vor dem Tod war. Einmal stürzte unser Haus wegen einer Bombe ein, eine Wand trennte mich vom Tod. Und einmal wurde mir auf dem Weg in die Türkei eine Pistole an den Kopf gehalten. Ich habe keinen Grund mehr zu leben, denn als ich mein geliebtes Syrien verließ habe ich alles, habe ich mich dort gelassen.‘

Ich habe meine 2 Monate unter anderem dazu genutzt ihm zu sagen, dass er auch hier weiter studieren kann, seine Fußball – Karriere nicht aufgeben muss. Dass ich ihm helfe, wenn er nach Europa will. Ich habe mit ihm eine Traum – Liste erstellt, in Gedanken, mit all den Träumen die wir haben und erreichen wollen. Ich weiß, dass sie – diese Menschen- das Beste verdienen und spätestens im Jenseits das Beste bekommen werden.

Ich würde gerne mit allen jenen Menschen eine Traum – Liste erstellen. Und sie versuchen umzusetzen.

Doch mir bleibt bisher nur die Erinnerung, ein paar Tränen und viele Gebete.

Der (andere) Himmel.

gaziantep sonnenuntergang

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In Gaziantep, in der Türkei, da gibt es keine Spitzdächer. Es gibt gerade Dächer, umrandet durch kurze Mauern, dass man nicht fällt.

Im Sommer, da schlafen wir auf den Dächern. Also ich, in der Zeit, als ich dort war. Vor kurzer Zeit. Die ich herbei sehne.

Und dann, nachts, da liegt man auf den Dächern, auf Matratzen auf dem Boden und hat mitten in der Nacht einen so klaren Himmel vor sich mit eine Milliarde Sterne und man sieht nach oben, wenn man da liegt, und möchte nicht schlafen weil es so schön ist, dass einem die Augen tränen und man das Schönste auf der Welt möchte, weil man einen Vorgeschmack darauf bekommen hat.

Und man sehnt sich Menschen herbei, die man liebt. Denn die Schönheit ist nicht alleine zu genießen, ist nicht alleine zu lieben.

Und beim Sonnenuntergang – da ist es so, als würde man die ganze Macht Gottes, vor sich haben. Und die Schönheit Gottes sich durch seine Schöpfung auf die wundervollste Art und Weise preis gibt.

Als ob der Himmel die Quran Zeilen rezitiert die diese beschreiben auf die göttlichste Art die es nur gibt.

Und zu Seinen Zeichen gehört die Schöpfung der Himmel und der Erde…“ Al-Shura:29

Die Vögel, die zu einer bestimmten Zeit von ihren Züchtern frei gelassen werden und die in Gruppen ineinander fliegen und wieder auseinander gehen, als würden sie tanzen.

Ich bin oft auf diese Dächer geflüchtet, vor dieser Welt, vor dem, was mich hier erwartet hat, und habe beobachtet. Die Zeichen Gottes, in allem was er schuf – auf die göttlichste Art die ich jemals sah!

Ich vermisse das. Den anderen Himmel.

Ich vermisse die Laute der Kinder die auf der Straße spielen, mit Nichts.

Und die Berge, alles braun! Und den Sand und die Kinder, die rennen und rennen  und man weiß nicht wieso und wohin, und man rennt hinterher und sie haben eine Wasserstelle entdeckt.

Ich habe das alles wie in einem Traum wahrgenommen.

Die Töne, die Kinder, die Natur.

Meine Sinne waren nicht so wie hier – in Deutschland. (Meiner Heimat)

Sie waren gespitzt und meine Seele, mein Herz und mein Geist – ihre Tore waren geöffnet. So offen, wie ich sie noch nie geöffnet hatte.

Und in diesen Toren sind sie hineingeströmt – die Sehnsucht nach der Liebe, die Erkenntnis Gottes in jedem Blick und Atemzug, der Schmerz und die Freude.

Und nun sind sie in mir – die Tore sind wieder geschlossen.

Und die Angst, dass sie verblassen…