Von Selbstverwirklichung und Erfolg.

Wieder in einem Cafe spreche ich zu ihr, als würde ich zu mir selbst sprechen. Ich versuche ihr, die Brille des Schlechten abzusetzen und die Brille der Wahrheit ans Herz zu legen. Damit sie sich selbst nicht Unrecht tut. Ihrem Weg, ihrer  Geschichte, ihrem Leben und ihrer Bestimmung!

Enttäuscht, etwas frustriert vom nicht – vorankommen. Jeder tut etwas, jeder macht, jeder weiß was er machen möchte – nur wir nicht. Wieso?

Ich glaube daran, dass jeder einzelne Mensch für sich geschaffen wurde – bewusst. Mit Fähigkeiten und Eigenschaften, die nur dieser eine Mensch besitzt. Weil jeder Mensch eine andere Geschichte, einen anderen Hintergrund, andere Leiden und andere Freuden hat.

Gott hat den Menschen, wenn er mit Weisheit handelt, den Weg zur Selbstverwirklichung offengelegt. Doch der Mensch muss wissen, was er möchte und wofür er geschaffen ist.

Wir wollen alle Influencer sein, die besten Food- und Beautyblogger. Wir wollen tausende Follower als Instagram, die besten Fotos, die besten Kunstwerke, die besten Texte, die besten und coolsten Freunde. Wir geben mit Telefonaten und Treffen mit „bekannten“ Persönlichkeiten an – doch ist das erstens: unsere Bestimmung und zweitens: ist das Erfolg?

Gott spricht*, dass er den Menschen durch Anstrengung, Bemühung und das aktive Handeln formen wird. Er setzt das Bemühen voraus, damit er einen Menschen zu dem formen kann, für was er geschaffen ist.

Noch heute habe ich einer Freundin geschrieben: „Hast du mir nicht selbst vor Jahren gesagt, Gott wird dich schleifen und kneten, er wird dich formen und du wirst darunter leiden. Das ist alles, damit am Ende ein Diamant entstehen kann?“

Ich erinnerte sie an ihre eigenen Worte und mir wurde klar, dass es weder ihre Worte waren, noch heute meine Worte sind. Es sind die Worte des Schleifenden, des Formenden  und des Erziehenden.

Dieser Formungsprozess geschieht nicht von heute auf morgen. Es dauert lange, hat viele Etappen, hat viele Wege. Der Mensch muss erst einmal den positiven Pol des Menschseins entdecken, also: er muss sich selbst entdecken, der Mensch muss mit sich selbst Bekanntschaft schließen, sich selbst kennenlernen, damit er wissen kann, was und wer er ist, und wozu er ist. 

Man wird oft fallen und wieder aufstehen, um die Ausstattung für seinen eigenen Schöpfungssinn zu erlangen. Man wird Vorstellungen hinterfragen, seinen Verstand trainieren, die Persönlichkeit reifen lassen, damit man die Welt erschließen und gestalten kann. Man wird Wissen erlangen müssen, sich in Selbstbeherrschung üben müssen um dann Veränderung und Revolution üben zu können.

Gott verspricht** dem Menschen zu lehren, was er benötigt um sich selbst zu finden, sich selbst zu verwirklichen und somit dem Guten nützlich zu sein. Er leitet zum Ziel durch Fähigkeiten, durch das Öffnen und versperren von Wegen und durch die Sehnsucht, die in einem brennt nach dem, was man tun und was man erreichen möchte.

Ich habe vor kurzem in einem Seminar das Wort –lesbar werden- neu entdeckt. Und es hat mir sehr gefallen.

Denn Gott spricht darüber, dass wir als ersten Schritt, vor allem anderen lesen (Iqra) sollen. Lesen – lesen bedeutet: Einzelteile sehen, sie zusammenfügen und das Etwas dann als Ganzes betrachten (können). Somit ist es wichtig, dass jeder Mensch jedes einzelne Teil seines Lebens lebt, liest und betrachtet als Einzelteil das zum Ganzen führt – und der Mensch sich dadurch lesbar macht. Und nicht die Einzelteile klein schätzt, die es braucht, um zum Ganzen – um zum Erfolg zu gelangen.

Und was ist Erfolg? Ist Erfolg denn nun, 1Mio. Follower auf Instagram zu haben, ist Erfolg sich als „Künstler/in“ in der Biografie zu beschreiben, ist Erfolg auf der Bühne zu sitzen und sich applaudieren zu lassen, ist Erfolg eine Ausstellung, eine Publikation nach der anderen? WAS ist Erfolg? Wie definiert das Gute Erfolg, wie sehen wir Erfolg durch die Brille des Erziehenden?

Erfolg ist Glückseligkeit. Jeder Mensch möchte, wenn er im Totenbett liegt, doch einfach nur Glückselig sein und zufrieden mit dem was er getan hat, nach was er gestrebt hat. Denn Erfolg ist das Streben nach dem Guten um Glückseligkeit zu erlangen. Es ist nicht, wie RAF Camora in seinem Track „Niemals“ sagt, das reine Ziel. Sondern, Klischeehaft gesagt, der Weg, das aufrichtige Streben auf diesem Weg zum Ziel.

Für H. – Auf das wir uns formen lassen, um werden zu können und irgendwann zu sein. Gemeinsam.

 

*87:1/2

**87:6

Unangebrachte Sensibilität.

Ich bin dafür bekannt, dass ich meine Meinung nicht zurück halte, dass ich kein Problem damit habe, mein Denken laut auszusprechen, auch wenn es dem Gegenüber zuwider ist oder ich genau weiß, dass meine Meinung nicht gleich der Mehrheitsmeinung entspricht. Ich kenne weiter auch viele starke Frauen, die sich u.a. in Frauenrechtlichen und antimuslimischen Rassismus – Szenen bewegen und hier eine starke Stimme haben.

Oft ist mir aufgefallen, dass sobald eine Frau laut ihre Meinung sagt, vor allem wenn es um Rassismus und Diskriminierung geht, die Menschen total erschrocken sind und absolut nicht damit umgehen können, dass Frau ihnen die Meinung geigt, ohne groß darauf zu achten besonders diplomatisch oder blumenhaft freundlich zu sein.

In letzter Zeit beschäftige ich mich mehr auch theoretisch mit dem Thema Rassismus und Diskriminierung, und komme eben deshalb in Kreise und Gespräche, in denen das Thema diskutiert wird. Und immer ist man erschrocken, wenn ich die Meinung geige, immer verlangt man von mir, und auch anderen AktivistInnen eine besondere Art der Sensibilität und der Rücksicht.

Ich verstehe das, ich kann das absolut nachvollziehen, wenn man nicht zusammen geschissen werden möchte und nicht alles an den Kopf geschmissen haben möchte was im Raum steht, doch diese Art von Schutzbedürfnis finde ich absolut unangebracht.

Ich frage mich dann nur, wieso ich das was ich denke, und das was richtig ist (siehe vorherigen Text) zurück halten muss, nur damit sich die Gegenüber Partei nicht angegriffen, verletzt oder vor den Kopf gestoßen fühlt. Wieso muss ich, oder müssen wir, die nicht-Betroffenen mit Samthandschuhen anfassen, wenn es darum geht aufzuklären und aufzuzeigen, welches Ausmaß der Rassismus und die Diskriminierung in Europa angenommen haben.

Haben die vielen vielen viiiiielen Menschen die mir gegenüber rassistisch und diskriminierend gewesen sind, sich auch nur eine Sekunde gefragt: „Tu ich dem Mädchen damit weh?, Verletze ich sie?, Gehe ich zu weit?, Halte ich meine Grenzen ein? Kommt sie damit klar?“ Ich denke nicht. Nur ein einziges Beispiel von vielen: Meine „Bio-Deutsche“ Lehrerin in der 6 Klasse tätigt nach meinem Betreten der Klasse einen Satz in dem die zwei Worte „scheiß Kopftuch“ drin vorkamen. Ich war damals 11 Jahre alt glaube ich. Hat diese Lehrerin sich wohl nur eine Sekunde gefragt, was das mit mir anstellt und anrichtet, wenn sie als Pädagogin, als Vorbildfunktion und als viel ältere Dame so etwas sagt? Ihr war es scheiß egal, das ich nach der Stunde weinend Nachhause gerannt bin. Oder hat sich der Herr der mir auf der Straße versuchte das Tuch runter zu reißen, auch nur eine Sekunde gedacht, dass mich das in meiner Würde verletzen könnte und kann? Nein! Nein! Nein! Nein! Und Nein zu allen anderen Fällen die ich oder andere Menschen die Rassismus erlebt haben! Haben sie nicht. Sie haben sich keine Sekunde gedacht, dass man ja sensibler oder rücksichtsvoller handeln könnte. Sie haben sich keine Sekunde zur Rechenschaft gezogen! 

Wieso soll ich dann genau diesen Menschen gegenüber immer soo sensibel sein? Wenn ich nicht klar sagen kann was Sache ist, wenn ich jedes meiner Worte bedenken und überdenken muss, damit sich auch ja niemand angegriffen fühlt, wie soll ich dann meine aktivistische Arbeit betreiben, die Veränderung hervor rufen soll im besten Falle? Wie soll das bitte gehen? Veränderung ist kein bequemer Prozess. Veränderung ist ein Kampf, Veränderung tut weh und Veränderung braucht Reflexion, Selbstreflexion – und das ist nie einfach in unserer Gesellschaft. 

Ich denke es schadet keinem, aber auch wirklich keiner einzelnen Person mal knall hart aug gezeigt zu bekommen wie unsere Alltagsrealität in verschiedenen Punkten mittlerweile in Deutschland und Österreich aussieht. Und das kann nur ankommen, wenn jeder einmal aus seiner Komfortzone heraus tritt und bereit ist, auch mal einzustecken und selbstkritisch zu sein, sich von seinem hohen Ross runter zu begeben.