„Was Diskriminierung ist, bestimme ich!“

Wenn Betroffene von Rassismus über ihre Rassismuserfahrungen sprechen, sind die Reaktionen der ZuhörerInnen immer sehr unterschiedlich. Einige sind entsetzt, und können gar nicht glauben, dass das Erzählte wahr ist. Bei diesen denke ich mir oft: lauft ihr blind und taub durch die Welt? Wieso ist das so, frage ich mich. 
Die andere Seite sind die, hm, keine Ahnung ich habe jetzt eine Bezeichnung für diese, aber es sind diejenigen die entweder Entschuldigungen für die Tat suchen oder sie versuchen zu verharmlosen. Oft wollen sie auch erklären, dass das passierte gar kein Rassismus oder keine Diskriminierung gewesen sei, sondern was auch immer was. „Ich meinte es nur gut!“, „Ich habe nur Interesse gezeigt!“, sind Sätze die ich oft höre. 
Und da denke ich mir dann: wer definiert was rassistisch oder/und diskriminierend ist in einer Situation, in einem Moment oder ganz allgemein? Wer bestimmt, ob das Geschehene nun Rassismus oder Diskriminierung war oder nicht.
Die Autorin Birgit Rommelspaccher erklärt das gut, in dem sie zwischen intentionalen und nicht intendierten Rassismus unterscheidet und dies weiter ausführt mit:

Auf der individuellen Ebene bezieht sich der intentionale Rassismus auf eine bewusste Herabsetzung der Anderen, während der nicht intendierte Rassismus auf ungewollte Weise diese Wirkung entfaltet. Das ist für die Beteiligten in der dominanten Position oft schwer zu verstehen, denn ihrer Meinung nach liegt nur dann Diskriminierung vor, wenn sie jemand auch verletzen und herabsetzen wollen. Das heißt für sie ist die Absicht entscheidend. Aber die Folge einer Handlung muss nicht mit ihrer Intention zusammenfallen. So kann auch wohlmeinendes Verhalten diskriminieren, z.B. wenn man eine Person, die vom Aussehen her nicht einem Normdeutschen entspricht, dafür lobt, wie gut sie deutsch spricht. Man glaubt damit positive Anerkennung auszudrücken, tatsächlich aber weist man damit auf den Bruch der Selbstverständlichkeit hin.  {….} ..wenn dieses „Lob“ zurückgewiesen wird, macht sich bei den Mehrheitsangehörigen oft Empörung breit, man habe es doch gut gemeint. Dem Anderen wird gewissermaßen nicht erlaubt, dies als eine Diskriminierung zu empfinden. Was Diskriminierung ist, bestimme ich! Mit diesem Motto wird Anerkennung verweigert. Dem Anderen wird eine eigene Perspektive nicht zugestanden, womit wiederum die geringere Bedeutung des Anderen unterstrichen, also seine geringere symbolische Macht bestätigt wird.“ (Rommelspaccher (2009), S. 31/32 {Hervorhebungen durch mich})

Somit ist also das Empfinden der oder des Betroffenen richtiger und anzunehmender als desjenigen, der/die meint er/sie hätte die Deutungshoheit darüber – aber sie eben nicht hat! Das drumherum Reden und eine „Ausrede“ suchen bringt in dem Zusammenhang nicht viel. Die Person, die darauf aufmerksam gemacht wird, dass das Gesagte oder Getane rassistisch oder diskriminierend war, oder so empfunden wurde,  sollte einfach versuchen zurück zu stecken, und einmal zu akzeptieren, dass die Meinung des Selbst nicht die Wichtigste und die Bedeutenste ist, sondern, dass Betroffene darüber entscheiden ob sie nun rassistisch oder diskriminierend behandelt wurden, ob sie ausgegrenzt wurden, egal wie es gemeint war. Die Absicht hinter der Tat tut wenig zur Sache, wenn sie beim Gegenüber schaden anrichtet! 

Mein Kopftuch hat eine Bedeutung.

Heute berichten einige deutsche Zeitungen darüber, dass einem 13 jährigen Mädchen das Kopftuch in der Öffentlichkeit von einer Frau herunter gerissen wurde.*

In den Kommentarzeilen sind neben einigen, wenigen, untergehenden Kommentaren von Verständnislosigkeit über das Handeln der Frau, viele Kommentare, die rassistisch, sexistisch, aus der rechten Ecke politisch und einfach nur sowas von 1933 und Ekel erregend sind.

Das Kopftuch wird oftmals in den Kommentaren mit einer Bademütze oder mit einer Baseball Capy eines kleinen Jungen verglichen.

Ich glaube, dass viele nicht ganz verstanden haben, dass das Kopftuch eine Bedeutung hat. Mehr als nur eine „Politische“, die man ihr oft unterstellt.

Ein Mädchen entscheidet sich, vor allem in diesem Land, bewusst für ein Tuch. Es wird eine Pro und Contra Liste im Kopf, manchmal sogar auf Papier gemacht. Beim Abendessen wird darüber geredet, es wird heiß diskutiert.
Man ist heute leider nicht mehr so frei einfach, weil man überzeugt davon ist, zu beschließen, dass man morgen ein Tuch tragen möchte. Dazu gibt es zu viele Menschen, die es mit einer Capy vergleichen oder es einem abziehen könnten und würden!

Es ist eine wohlüberlegte Entscheidung. Man setzt sich neben den religiösen Bedeutungen und Richtlinien auch mit den gesellschaftlichen, eventuellen Problemen und Herausforderungen auseinander.

Selbst meine Eltern wollten damals nicht, dass ich ein Tuch trage, obwohl ich behaupten kann, dass meine Familie (mehr oder minder) den Islam praktiziert.

Die Angst davor, dass etwas passieren könnte, die Angst vor Diskriminierung, Rassismus, Hass und möglichen Angriffen ist einfach zu groß, als dass diese Entscheidung nur mit dem Herzen gefällt werden könnte. Wie schade eigentlich!

Deshalb: Mein Kopftuch HAT eine Bedeutung.
Eine, neben der Religiösen.

Das Kopftuch bedeutet, sich früh intensiv mit Thematiken auseinander zu setzten, in denen verschiedene Meinungen vertreten sind. Das bedeutet, dass man lernt, früh verschiedene Meinungen auszusuchen, anzuhören, abzuwägen und dann eine eigene Meinung zu bilden und nach dieser zu gehen. Diese zu vertreten und hinter ihr zu stehen.

Das Kopftuch bedeutet, dass man lernt hinter seinen Entscheidungen zu stehen. Hinter dem, was man für sich getan und beschlossen hat. Es bedeutet Verteidigung, oft auch Rechtfertigung und Erklärungen. Es bedeutet, dass man in der Lage ist oder sein muss, aufrecht zu gehen und erhobenen Hauptes hinter seinem Selbst zu stehen. Egal was ist!

Das Kopftuch bedeutet Stärke, Mut und Selbstbewusstsein. Obwohl muslimischen Frauen immer unterstellt wird, sie seien schwach und unterdrückt, muss man eine muslimische frau erst einmal genauer betrachten.
Das Kopftuch bedeutet, dass man jeden Morgen vor dem Spiegel steht, es aufsetzt und weiß, es könnte mit dem ersten Schritt nach draußen was passieren.
Es dennoch aufzusetzen, weil man hinter seinen Überzeugungen und Entscheidungen steht, zeugt von extremer Stärke, von Mut, von Ehrgeiz, von Weitsicht, von Revolution, von Veränderung, ja, von Rebellion, von Selbstbestimmtheit und Selbstbewusstsein!

Das Kopftuch bedeutet Auflehnung. Auflehnung gegen das System das herrschen möchte und zum Teil schon herrscht. Das Tuch bedeutet Erinnerung. Erinnerung an die Geschichte, an die Geschichte die wir nicht noch einmal erleben wollen. Das Kopftuch bedeutet Mut, Mut nach draußen zu gehen Tag für Tag erhobenen Hauptes, und jeden Moment mit einem Angriff, einer Diskriminierungserfahrung zu rechnen.

Das Tuch bedeutet Aufstand und Rebellion!

Ja, mein Tuch ist schon lange kein nur religiöses Symbol mehr! Es ist auch nicht zu vergleichen mit einer Kappe eines Jungen oder eine Badekappe beim Schwimmen. Und nein, wir „heulen“ nicht leise, wie in den Kommentaren gefordert wurde! 
Ich zeige mit meinem Tuch, dass ich hier her gehöre. Dass ich zu Deutschland und nun auch zu Österreich gehöre. Mein Tuch zeigt, dass ich es Deutschland zumute, dass ich an Deutschland glaube, dass Deutschland Vielfalt tragen und lieben lernen kann.

Mein Tuch Auflehnung, Aufstand und Rebellion gegen alle, die wieder zurück in der Geschichte möchten!

Wenn sie doch nur wüssten!

 

 

*Spiegel Online