Die Grenzen meiner Sprache.

Ich erinnere mich zurück: als ich 5 war und noch in den Kindergarten ging, gab es eine, Abend im Halbjahr einen Elternsprechtag. Nach dem Abend sind meine Eltern immer zu mir und zu meinen Geschwistern gekommen und haben so erzählt, was die ErzieherInnen denn so gesagt haben. Auch als Kinder haben meine Eltern mich und meine Geschwister auch in solchen Angelegenheiten sehr ernst genommen.

Meine Mutter sagte: „Esim, Frau Schneider meinte, dass du eines der besten Kinder in Sache Sprache bist! Dein Deutsch sei wirklich sehr gut. Aber die Erzieherinnen haben uns empfohlen auch Zuhause nur Deutsch mit euch zu sprechen.“ Ich habe als Kind mit Migrationshintergrund die beste Sprache in der Gruppe damals, dennoch war die Empfehlung der Erzieherinnen an meine Mutter, sie solle nur noch Deutsch mit uns sprechen? Obwohl meine Mutter nur mäßig Deutsch gesprochen hatte damals. Heute, selbst als Pädagogin kann ich sagen, wie dumm diese Empfehlung und vor allem wie kontraproduktiv für die Sprachentwicklung sie war. Doch darüber könnte ich einen extra Text zu schreiben. 

Dennoch, noch heute ist in der Pädagogik, aber auch und vor allem in der Politik die Sprache ein oft diskutiertes Thema und ebenso meiner Meinung nach eine Methode der Politik und in der Pädagogik. Sprache wird nicht nur genutzt um zu kommunizieren, sondern ist auch ein Mittel der Zugehörigkeit, der Identität und auch der Selbstbestimmung!

Meine Eltern sind kurdischer Abstammung, aber sie haben nie kurdisch mit uns gesprochen. Ich spreche als eine Frau mit kurdischer Herkunft also kein Wort kurdisch. Das war damals einfach so als ich ein Kind war. Man hat halt einfach kein kurdisch gesprochen und wenn dann nur leise und nicht öffentlich. Damals gilt: wenn man selbst in der Türkei, die Heimat vieler Kurden und Kurdinnen nicht kurdisch spricht wieso dann in Deutschland? Man hat Türkisch gesprochen. Und selbst das haben meine Eltern nicht immer mit uns gesprochen.

Ich habe mir heute das Video angeschaut, wie der Sänger Ahmet Kaya aus einer Veranstaltung gejagt wurde, weil er ankündigte in seinem nächsten Album ein kurdisches Lied singen zu wollen und dazu auch ein Video drehen zu wollen. Nach dem er aus dem Saal fast schon fliehen muss, mit Gabeln und Messern beschmissen wurde, wurde danach im ganzen Land gegen ihn gehetzt, so dass er ins Ausland flüchten musste, nach Paris, wo er nach schon einem Jahr an gebrochenem Herzen stirbt, wie man heute über ihn sagt.

Sprache ist immer ein Mittel um zu kommunizieren, auch ein Mittel der Stärke, der Stimme, der Zusammengehörigkeit oder auch Abgrenzung.

Ich frage mich, was haben die Menschen davon, was die PolitikerInnen, was die PädagogInnen, wenn ein Kurde in der Türkei kein kurdisch sprechen soll, wenn ich in Deutschland nicht türkisch sprechen soll, wo doch sowohl Ahmet Kayas Türkisch als auch mein Deutsch perfekt war und ist?

Abgrenzung geschieht doch oft durch kleine Dinge die nicht im Vordergrund stehen. Auf die niemand achtet, wenn er oder sie nicht selbst davon betroffen ist.
Abgrenzung und auch Unterdrückung geschieht dadurch, dass man Menschen ihre Sprache verbietet und somit die Stimme, ihre Stimme, ihre Identität und weitere Zugehörigkeit(en) verweigert und abspricht!

„Dilimin sınırları, dünyamın sınırlarıdır.“* hat Wittgenstein einmal gesagt. So ist jedes Verbot oder jede Eingrenzung doch auch eine Einengung im Leben, im Werden und im Sein und eine Beschränkung des Horizontes, der Welt in der man lebt und leben möchte.

*„Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt.“ -Ludwig
Wittgenstein (1918)

Ein weiterer Text zu dieser Thematik von mir: Warum spreche ich nicht cok gut Türkce?

Meine Herzenssprache.

Vor 3 Tagen hatte ich mir vorgenommen auf Türkisch zu schreiben.

Es war egal was, nur, ich wollte einen Text auf Türkisch verfassen.

Ich setzte mich hin.

Fing an zu schreiben. Wie immer – ohne zu denken, ohne einen Gedanken vorher darauf zu verschwenden. Einfach schreiben. Das, was sich gerade in meinem Kopf, meinem Herz und in meiner Seele befand.

Ich schrieb genau ein Wort. Ein Wort. „Hasret.“ (=Sehnsucht)

Und dann packte mich die Angst.

„Ich kann doch gar kein Türkisch?!“, dachte ich mir. „Klar, mein Papa ist ursprünglich aus der Türkei. Und meine Mama auch. Und ich war schon mal dort. 4 Mal vielleicht? Aber, ich kann doch gar kein Türkisch?!“

Die Herzenssprache, hatte es Esma Abla mal genannt. Türkisch sei ihre Herzenssprache. Ihre Gefühlssprache.

Ich habe so viele Empfindungen, so viele Gedanken. Meine Gedanken sind ab und an auf Türkisch. Aber ich kann es nicht nieder schreiben.

Bin ich etwas viel mehr Deutsch als ich glaubte, und viel mehr weniger Türkisch als meine Umgebung mich wahrnimmt und wahrnehmen will.

Es war nie eine Frage für mich; Ich bin ein Teil dieses Landes. Und ich wusste schon immer: Deutsch ist die Sprache, die ich am besten spreche und türkisch spreche ich eigentlich nur mit meiner Oma. Und manchmal mit meiner Mutter. Aber immer seltener. Und vielleicht auch mit meinem Onkel. Ab und zu. Wenn wir nicht gerade Schwäbisch reden.

Ich lief zu meinem Bücherregal (das eigentlich nur mein Fensterbrett ist, da ich keines besitze und das was ich besitze viel zu klein für all meine Bücher ist) 2 Bücher auf Türkisch. 3 wenn es hochkommt.

Eines über den Mystiker Rumi. Und eines über die Frau des Propheten (s) Hatica r.a. Und… die türkische Übersetzung des Korans.

„Ich fühle mich wie in der 3. Klasse, wenn ich ein türkisches Buch lese..“, dachte ich mir immer, wenn ich eines von Papas Regal raus nahm (welches übrigens Bücher in wirklich fast allen Sprachen der Welt enthält – was will er eigentlich mit all den Büchern, auf all den Sprachen?) Und ich legte es immer wieder hin und widmete  mich meinen deutschen Büchern zu.

Weil ich sie verstand. Und weil ich sie fühlte. Ich musste bisher noch nie ein Wort nachschlagen. Selten musste ich einen Satz mehr als zwei Mal lesen. (Abgesehen von Nietzsche – aber den verstehen auch andere nicht)

Ich war mir nie darüber bewusst. Bis ich vor 3 Tagen einen Text schreiben wollte. Auf Türkisch. Weil meine Mutter ist Türkin. Und mein Vater auch. Eigentlich.

„Meine Herzenssprache ist Türkisch“, sagte mir meine Esma Abla mal während wir zur Mittagspause einen Kaffee tranken.

Ich schwieg damals, und schaute sie fragend an. Nicht, weil ich etwas an ihrer Aussage auszusetzten hatte. Nur dachte ich mir: „Nein, ich glaube meine nicht.“ Aber sicher war ich mir damals nicht.

Ich war mir nie darüber bewusst. Bis ich vor 3 Tagen einen Text schreiben wollte. Auf Türkisch.

Dieser Text ist Deutsch. Weil ich nun weiß: Meine Herzenssprache ist Deutsch.

Dieser Text ist Deutsch. Vielleicht weil ich viel mehr Deutsch bin als ich bisher glaubte, und viel weniger Türkisch, als es die Gesellschaft wahr haben will.

Dieser Text ist Deutsch. Aber vielleicht werde ich irgendwann einen Text auf Türkisch schreiben. Vielleicht…