Fereshta Ludin – Die mit dem Mut.

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Am Pfingstwochenende durfte ich eine Lesung von Fereshta Ludin und Sandra Abed (Co-Autorin) moderieren. Sie haben gemeinsam die Biografie von Fereshta Ludin „Die mit dem Kopftuch“ geschrieben.

Fereshta Ludin zog vor Jahren von Gericht zu Gericht, um sich ihr Recht zu erkämpfen mit dem Tuch als Lehrerin arbeiten zu dürfen.

Das war der Anfang einer jahrelangen, noch bis heute andauernden „Kopftuchdebatte“.

Das Kopftuch ist dadurch keine Sache mehr, die man nur ablehnen kann oder dagegen grob und gar rassistisch vorgeht. Durch Fereshta wurde das Kopftuch zu etwas, wofür es sich lohnt zu kämpfen, wofür es sich lohnt eventuell vor Gericht zu gehen und den Menschen zu zeigen, dass es ein Teil des Selbst ist, ein Teil der Identität.

Als ich Fereshta und Sandra sah, umarmten sie mich herzlich. Ich stellte sie kurz dem Publikum vor, das kaum mehr in den großen Raum passte, und die beiden begannen Fereshtas Geschichte zu erzählen. Sie erzählten von ihrem Leben und unterstrichen dieses mit kurzen Passagen aus ihrem Buch.

Das eigentliche Highlight für mich war aber etwas anderes.

Nach dem ich die Lesung mit ein paar Schlussworten abgeschlossen hatte und wir die Fragerunde hinter uns gebracht hatten, bildete sich eine Schlange zu Fereshta.

Ich stand die ganze Zeit neben ihr, während sich ein Mädchen nach dem anderen bei Fereshta für ihren Mut bedankte und das, was sie für uns Frauen mit Tuch getan hat. Ich sah Mädchen, welche vor Überwältigung weinten und Kraft, Mut und Inspiration aus den Worten Fereshtas schöpften.

foto ludin

Fereshta und Sandra gaben dem Buch den Titel „Enthüllung der Fereshta Ludin – Die mit dem Kopftuch“, doch für mich ist sie die mit dem Mut! Die Frau, die es gewagt hat zu tun, was alle muslimischen Mädchen denken, wenn sie wegen ihres Tuches diskriminiert werden – für die eigenen Rechte kämpfen!

Fereshta hatte den Mut und die Kraft von einem Gericht in den Nächsten zu ziehen! Ein Mädchen sagte mir nach der Lesung: „Ich würde mich das nicht trauen. Und ich würde es auch nicht schaffen.“ Ich nickte nur, und sagte leise: „Ich glaube ich auch nicht.“

Doch sie hat es sich getraut und sie hat es auch geschafft!

Als das Kopftuchurteil 2015 von Bundesverfassungsgericht korrigiert wurde, fragte ich mich was Fereshta wohl empfindet? Nach so vielen Jahren hatte sie ihr Ziel erreicht.

Als Fereshta dann während der Lesung den Tränen nah war und kurz stocken musste als sie über das Urteil sprach, wusste ich es. Alles Lob gebührt Allah, dem Herrn der Welten.

Ich möchte mich bei Fereshta bedanken. Dafür, dass sie für mich die mit dem Mut ist. Mehr als nur die mit dem Kopftuch! Fereshta hat es sich nicht einfach gemacht, wie viele andere auch. Sie ist nicht in die Opfer-Rolle geschlüpft, hat nicht nur ein bisschen geweint und über Deutschland geschimpft, wie schlimm es hier doch sei. Nein, sie hat die Möglichkeiten, die Deutschland ihr bot, genutzt, um für ihre Rechte zu kämpfen. Sie hatte Mut und heute ermutigt und inspiriert sie junge Mädchen, nicht in die Rolle des armen kleinen „Kopftuchmädchens“ zu schlüpfen, sondern etwas zu tun! Etwas zu bewegen!

Ich wünsche mir, dass wir muslimischen Frauen beginnen, aus der Rolle des armen Kopftuchmädchens zu schlüpfen, und etwas aus unseren vielfältigen Talenten zu machen, ohne Angst vor- und ohne Vorurteile zu unserem Gegenüber. Sich in eine Ecke zu verkriechen und alles damit zu entschuldigen, dass uns sowieso niemand mag, ist feige und vor allem nicht wahr.

So sollten wir beginnen uns als das zu sehen und so zu handeln, wie wir möchten, dass andere uns sehen und sich uns gegenüber verhalten.

Fotos: FlorianIXberg

Deutschland, willkommen in der pluralen Welt.

2015 Bundesverfassungsgericht Karlsruhe: Das Gericht revidiert die Kopftuchverbote die seit seinem Urteil 2003 in den meisten Bundesländer herrschen. In der Pressemitteilung schreiben sie:

„Mit heute veröffentlichtem Beschluss hat der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts entschieden, dass ein pauschales Verbot religiöser Bekundungen in öffentlichen Schulen durch das äußere Erscheinungsbild von Pädagoginnen und Pädagogen mit deren Glaubens- und Bekenntnisfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG) nicht vereinbar ist.“ (Bundesverfassungsgericht.de {13.03.2015})

Überall lese ich davon. Alle Zeitungen schreiben darüber. Alle klatschen sich in die Hände und teilen die „freudige Botschaft“.

Doch irgendetwas stimmt nicht.

Ich finde diese Entwicklung selbstverständlich toll. Ich freue mich für all die muslimischen Frauen, die dem Druck standgehalten haben und das Tuch nicht abgesetzt haben, sich auf Gott verlassen haben. Doch verstehe ich die ganze Aufruhe nicht.

Malcolm X schrieb in seiner Autobiografie sinngemäß, dass er nicht verstehe, wieso man sich mit minimalen „Fortschritten“ zufrieden gebe obwohl doch jeder wüsste, dass das das Recht eines Bürgers sei. Wieso müssten alle sofort „Halleluja jauchzen“ wenn sie ein winziges Stück ihrer Rechte zugesprochen bekämen. (vgl. Malcolm X 1964, S.285)
Und heute empfinde ich es genau so, wie er das damals empfunden hatte, als man von einem großen Fortschritt redete, weil zehn „Schwarze“ nun in einer Fabrik mit „Weißen“ arbeiten durften.

Ein Teil dieses Landes klatscht sich in die Hände, tanzt Freudentänze weil sie ein Stück ihrer Rechte bekommen? Damit lassen wir uns abwimmeln? Und wir sollten doch dankbar sein heißt es, dass wir überhaupt studieren dürften. Wenn wir in „unseren Ländern“ wären, wäre das als Frau gar nicht möglich, sagen jene, die noch nicht begriffen haben das unser Land ebenso Deutschland ist.

Wieso meine Freude sich in Grenzen hält? Elf Jahre. ELF Jahre hat UNSER gemeinsames Deutschland gebraucht um sein eigenes Grundgesetz zu erkennen? Elf Jahre hat Deutschland gebraucht um seinen eigenen Bürgerinnen ihr Recht wieder zu geben?

Dieses Gesetz hätte es in unserem Deutschland gar nicht geben dürfen. Nicht geben sollen. Die Revidierung des Gesetzes aus 2003 ist kein Geschenk, das uns gemacht wurde. Es ist auch kein Entgegenkommen, für welches wir Tänze tanzen müssen.

Unser Deutschland hat am 13. März 2015 mit der Aufhebung des pauschalen Kopftuchverbots für Lehrerinnen nur seine Pflicht erfüllt.

Ich sage: Deutschland, heute bist du angekommen in der pluralen Welt. Herzlich Willkommen! Wir haben lange auf dich gewartet. Und herzlichen Glückwunsch an all die muslimischen Frauen mit Tuch – ich freue mich für euch.