Die Vielfalt mit Ahmet und Hans im Sandkasten.

In meinem Studium haben wir ein Seminar mit dem Titel „Diversity Education“. Man kann es auch Vielfaltspädagogik nennen.

Das Ziel in diesem Seminar ist es, neben Theorie und wichtigen Pädagogen, zu lernen, wie man PädagogInnen, Eltern aber auch Kinder für Vielfalt, Interkulturalität und Fremdheit „sensibilisieren“ kann.

Im Seminar hatte ich nach 3 Vorlesungsstunden, in dem der Prof. den Diversitätsbegriff lang und breit erklärt hatte, einen kleinen Einwand:

Ich frage mich, was denn das wirkliche Ziel von diesen Diversitytrainings und ähnlichen Dingen sind, und wohin das führt bzw. führen soll. Vor allem bei Kindern.

Wenn Ahmed und Hans im Sandkasten miteinander spielen ist es Hans egal, ob Ahmed türkische Wurzeln hat, und Ahmed ist es egal, ob Hans Deutsch ist. Ihnen ist in dem Moment nur wichtig, wer die Schaufel zum Graben bekommt.

Dann kommt die gut für Interkulturalität und Vielfalt ausgebildete Fachkraft, die absolut weiß was sie tut und sagt etwas wie:

Hey, Jungs ich verrate euch jetzt mal was;
Hans, weißt du, der Ahmet ist anders als du. Weil er hat einen türkischen „Migrationshintergrund“. Dies bedeutet, dass er laut Lehrbüchern ein Risikokind ist, und wahrscheinlich auch andere Risikofaktoren wie ein sozial schwaches Umfeld, mehrere Geschwister und vieles mehr auf ihn zutreffen. Das heißt, laut Lehrbüchern dürfte aus ihm eigentlich nicht sehr viel werden. Zudem wird er dich wahrscheinlich machohaft anmachen, wenn du ihm nicht die Schaufel gibst, wenn er sie will.

Ahmet und weißt du, der Hans, der ist Deutsch. Also hat er keinen „Migrationshintergrund“ sowie du. Er braucht also keine besondere Betreuung und Förderung wie du, weil er kein Risikokind ist. Laut Lehrbüchern ist er kein Risikokind und aus ihm dürfte etwas werden.

Aber kein Problem! Unser Pädagogikverständnis ist so toll, dass ich das sofort wieder regeln kann. Ich kann euch nämlich dafür sensibilisieren!

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Kindern die absolut keine Unterschiedlichkeit in unserem Verständnis aneinander wahrnehmen und dies absolut nicht als Differenz sehen, suggerieren wir im Deckmantel der „Interkulturellen Bildung und Diversity-Pädagogik“, dass sie unterschiedlich und zum Teil „anders“ sind.

Etwas das eigentlich gleich ist, „ENT-gleichen“ wir mit diesem Verhalten, wie es die Soziologie nennt. Man spaltet und trennt um es dann mit Sensibilisierung wieder gleich machen zu können. Beachten aber nicht, dass uns das nie gelingen wird, weil die Spaltung zuvor kam.

Das Ziel von Vielfaltspädagogik sollte es sein, dass es in dieser Form keine Vielfaltspädagogik mehr gibt!
Ich möchte irgendwann in einen Raum treten, und nicht nur als Muslima, oder „hm, wahrscheinlich Araberin? Türkin?“ wahrgenommen werden, sondern als das, als die ich dort anwesend bin. Studentin, Schreiberin, angehende Pädagogin, Jugendarbeiterin und vieles mehr.

Ziel der Diversity Education sollte es sein, dass keine Sensibilisierung mehr nötig ist. Denn sie ist nur nötig, wenn zuvor gespalten worden ist.

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Gastarbeitergespräche bei Bier & Früchtetee.

Mein aromatisierter Früchtetee und mein Bienenstich stehen bereit. Neben mir zwei Freundinnen mit heißer Schokolade und je einem Kuchenstück.
Wir fangen an uns zu unterhalten, da kommt sie, die vierte im Bunde – fertig vom Unitag und bestellt. Bestellt ein Bier.

Jahre ist es her, dass ich an einem Tisch mit Alkohol saß. Ungewöhnlich vielleicht für Nicht-Muslime dieser Gedanke, aber ungewöhnlich für mich, dass Bier auf dem Tisch steht, an dem ich sitze.

Aufstehen und gehen? – Übertrieben und unhöflich!
„Ehm, bitte kein Alk‘ am Tisch!“ – Was geht’s mich an, was sie trinkt?

Ihr Bier kommt und wir beginnen die Unterhaltung.
Erst die notwendige „Lästerrunde“ über die DozentInnen, um der Wut Platz zu machen, dann über Gott und die Welt.

Erst geht es um die Kirche, dann um kirchliche Einrichtungen, dann die Verbundenheit zur Kirche, womit die Moscheethematik nicht mehr lange auf sich warten lässt. Dann geht es um Moscheen, islamische Einrichtungen, Gemeinden, Nationalitäten und Identitäten. Und da ist sie, die Frage aller Fragen: wer bist du eigentlich, Esim?

„Weißt du, erst kam mein Opa, der „Gastarbeiter“, dann mein Vater, das „Gastarbeiterkind“, der nie eine Bildungschance haben würde, da er eigentlich ja wieder gehen sollte. Und dann kam ich. Die Enkeltochter eines „Gastarbeiters“ und die Tochter eines bildungsfernen „Gastarbeitersohnes“.
Doch das Wort –Gastarbeiter- ist unrichtig gewählt, denn irgendwann wurden sie leise und still, vor sich hin, den Traum vom Haus auf dem Dorf aufgebend und sich mit Glockenklängen anfreundend, von Gastarbeitern zu Bürgern dieses Landes. Doch niemand, ja nicht einmal sie selbst, bemerkten dies.
Heute ist es nicht mehr so. Wir, die Jugend die zum Teil schon die 4. Generation hier ist, verschanzen uns nicht mehr in unsere Ecken, in denen wir „unsere Sprachen“ sprechen. Unsere Sprache ist nämlich die deutsche und unsere Ecken sind die Universitäten, die Schulen, die Büros, die Sitze in politischen Vereinen und der Joga-Kurs.
Ich bin nicht (mehr) die Enkeltochter eines Gastarbeiters. Ich bin Esim, die muslimische, deutsche Studentin, die sich für das Wohl der deutschen Gesellschaft einsetzen möchte und einsetzt.“

Ihr Bier halb voll (oder halb leer – kommt drauf an wie die seelische Stimmung so ist) nickt sie eifrig. „Und ‚der Islam’?“
Sie fragt mich nach „DEM“ Islam.
„Ja, zum Beispiel die Mädchen, die nur halb so viel dürfen als die Männer, was sagst du dazu, als emanzipierte Frau?“
Die anderen Zwei machen große Augen, die Stärkung ihrer Vorurteile erwartend. Glaube ich zumindest.

„Ich hasse Tradition“, sage ich ganz plump. „Und mehr als dass ich Tradition hasse, mag ich es nicht, wenn man die Tradition so darstellt als sei sie Religion. Meine „emanzipierte“ Ader habe ich vom Islam, von den Frauen des Propheten Muhammad (s). Nicht von A.Schwarzer & Co. oder Feministinnen Zeitschriften.“

Ihre Schokolade ganz ausgetrunken schaut sie mich erstaunt an.
„Wenn man dich von außen so sieht, will man dich sofort in die Schublade des braven, türkischen Mädchens stecken. Aber dann sitzt du hier und machst mein komplettes Weltbild kaputt in dem du auf den Tisch haust und meinst „Ich hasse Tradition“!“

Ich lächle. Das Bier der 4. im Bunde ausgeblendet, zu sehr in der Rolle der freien, deutschen, muslimischen Frau vertieft, verlasse ich am Ende das Café. Eine Umarmung – bis Montag!

Es war ein guter Tag. Ich habe das Gefühl etwas bewirkt, etwas bewegt zu haben. Und das, während Bier auf dem Tisch stand.