„Und, sagen Sie mal, was halten Sie eigentlich von Erdogan?“, „Und was denken Sie darüber, was Erdogan so sagt?“
Diese Frage kommt mir bei jeder Gelegenheit, mindestens einmal am Tag, gleich nach der Frage, wieso ich denn ein Kopftuch trage, angehängt entgegen. Auch wenn mir diese Frage nicht gestellt wird, bin ich in sozialen Medien ständig damit konfrontiert. Als ich letztens auf einer Rap(!) Seite die AfD kritisiert habe, haben andere LeserInnen mich darüber augeklärt, dass ich als „Türkin“ doch erst mal Erdogan anschauen sollte. Man spricht mit und anderen in Deutschland und Österreich lebenden Menschen das Recht ab, in unserem Land, also DE und AT partizipieren zu dürfen!
Es wird darüber gestritten, dass türkische PolitikerInnen die türkische Innenpolitik nach Deutschland und Österreich tragen, aber, wenn ich Zeitungsseiten aufschlage oder Diskussionsrunden im TV ansehen möchte, im deutschen TV springt mir Erdogan nur so entgegen.
Ich möchte eine Sache klarstellen: Erdogan ist nicht mein Vater, nicht mein Bruder, nicht mein Mann. Erdogan ist nicht mit mir verwandt oder verschwägert. Wir sind auch keine Blutsgeschwister, ganz romantisch gesehen. Ich hatte noch nie Kontakt mit ihm, ich habe nicht einmal ein Wikipediaartikel über ihn gelesen. Ich interessiere mich einfach nicht für ihn!
Ich muss mir aber jeden Tag etwas über Erdogan anhören, wo ich mich doch null für die türkische Innenpolitik interessiere.
Wieso denn auch? – Ich kann sie nicht aktiv mitgestalten – wieso dann Zeit vergeuden, wo Deutschland und Österreich meine Heimat sind, ich hier wählen und aktiv Partizipation üben kann.
Durch diese ganze Türkei- und Erdogandebatten, werden muslimisch-türkisch-kurdische Menschen, nur noch mehr in die Ecke gedrängt, und dazu gezwungen, sich mit etwas zu beschäftigen, mit dem sie sich nicht beschäftigen würden oder wollen. Und im Gegenzug wird ihnen dann vorgeworfen, dass sie sich damit beschäftigen, sie hätten sich doch zu integrieren. Was ein Paradoxon!
Auf der anderen Seite, werden nicht-türkische Menschen durch die Medien dazu gezwungen, sich dazu eine Meinung zu bilden, im Rahmen ihres Zugangs, also meist dagegen. Es ist eine von außen aufgetragene Debatte – fremdbestimmt.
Ich glaube Politik und Medien müssen endlich verstehen – um Schadensbegrenzung betreiben zu können – dass wenn sie so auf den Zug aufspringen, Menschen mit türkischem Hintergrund Aussagen von Erdogan in Deutschland oder Österreich ausbaden müssen, sie tagtäglich damit beschäftigt sind, und die Türken- und Muslimfeindlichkeit steigt, so auch, dass der Zulauf an Erdogan nur steigen oder zumindest konstant bleiben wird.
Außerdem fällt niemandem auf, dass wir mit all diesen Debatten, wieder Debatten von vor 20 Jahren wieder aufholen, und darüber sprechen, ob wir uns hier wohl fühlen, ob das Land unsere Heimat ist. Integrationsdebatten von vor 20 Jahren, sind heute in Talk-Shows und Podien wieder der Renner. Das muss aufhören! Wir dürfen nicht wieder Schritte zurück machen, wir müssen nach vorne schauen – müssen unsere Zukunft gestalten und nicht, unsere Vergangenheit wieder in die Zukunft packen. Wir haben durch diese Debatten seiner Zeit schon genug Schaden davon getragen, wir können es besser, und so sollten wir es auch tun!