Wir können nirgendwo ganz wir sein.

Wer ist sichtbar und wer wird unsichtbar gemacht?

Nach welchen Kriterien suchen wir die Menschen aus, dir wir durch unsere Ressourcen und Mitteln fördern und denen wir eine Bühne geben (möchten)?

Was bedeutet es, in marginalisierten Gruppen solidarisch zu sein?

Was bedeutet es, Ressourcen zu teilen?

„Ich kann dieses Spiel halt nicht mitspielen, lächeln, hihi da hihi hier, und dann zuhause sitzen und genau wissen, dass dich die Menschen nur so viel haben möchten, wie es ihnen was bringt.“, schreibe ich einer Freundin.

Und was ist die Alternative: Texte, die in den Schubladen verstauben, Fotografien, die nie gesehen werden, Gedanken die nie gehört und 15 Jahre Mädchen*arbeit die nicht geschätzt wird.

Ich erinnere mich an Fragmente aus meiner Kindheit. Familien die miteinander konkurrierten. Welches Auto? Welche Wohnung? Welche Ausbildung für die Kinder?

Dann haben die Kinder ebenso begonnen, miteinander zu konkurrieren.

Welche Ausbildung? Welche Partner:in? Welches Haus? Welches Gehalt? Welche Schuhe?

Sie redeten viel übereinander. Und ich hatte immer das Gefühl, dass ich mit all dem nichts anfangen konnte – also schwieg ich. Sehr oft.

„Was wohl in dem Kopf dieses Mädchens ständig vor sich geht, so dass sie stundenlang still vor sich hinblickt und kein Wort sagt.“, fragte mein Lieblingsonkel mal meine Tante. „Esim ist immer so, ich glaube wir wollen gar nicht wissen, was da alles vor sich geht.“, antwortete sie.

Stille Menschen hören und sehen sehr viel. Dinge, die andere überhören oder übersehen. Dinge die andere nicht einmal wahrnehmen, nahm ich wahr, verarbeitete es für Tage und zog mir eine Lehre daraus. Meine Stille hat mich erzogen.

Am schlimmsten fand ich es aber, wenn all diese Menschen, die viel übereinander sagten, und dass auch genau wussten, dann zusammenkamen. Sie lächelten, sagten wie großartig sie sich gegenseitig fanden, und unternahmen gemeinsam Dinge.

Und ich war dabei, schwebte um diese ganze Struktur herum und hörte, sah und nahm wahr.

Ich hatte mir versprochen, nie so zu werden. Egal, ob das bedeutete, dass ich eben nicht dazu gehöre. Nicht gesehen und nicht wahrgenommen werde. Ich dachte, ich würde Menschen finden, die Denken und Fühlen wie ich.

Diese Menschen fand ich, sie wurden aber mit der Zeit immer weniger. Denn der gemeinsame Kampf um Ressourcen, Mittel und eine gemeinsame Bühne wandelte sich um in einen Kamp um die Ressourcen, Mittel und Bühnen selbst. Und das gleiche Spiel begann erneut.

Es scheint mir, dass mit den Errungenschaften, die gemeinsamen Werte, das gemeinsame Denken und Fühlen verloren geht. Dass es dann darum geht, die Bühne zu haben, und nicht zu teilen. Was bedeutet es, wenn wir die Muster und Mechanismen von jenen annehmen, die wir all die Jahre kritisiert haben. Und diese Mechanismen dann gegen unsere „eigenen“ Leute wenden.

Eine Hierarchie in der Hierarchie in der Hierarchie. Ein Unsichtbargemachtwerden im Unsichbargemachtwerden im Unsichtbargemachtwerden.

Und dann denke ich an die Worte einer Bekannten, die meinen Rat für eine Diskussionsrunde suchte: wir sind Menschen, die überall die „anderen“ sind. Wir können nirgendwo ganz wir sein.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert