Mein aromatisierter Früchtetee und mein Bienenstich stehen bereit. Neben mir zwei Freundinnen mit heißer Schokolade und je einem Kuchenstück.
Wir fangen an uns zu unterhalten, da kommt sie, die vierte im Bunde – fertig vom Unitag und bestellt. Bestellt ein Bier.
Jahre ist es her, dass ich an einem Tisch mit Alkohol saß. Ungewöhnlich vielleicht für Nicht-Muslime dieser Gedanke, aber ungewöhnlich für mich, dass Bier auf dem Tisch steht, an dem ich sitze.
Aufstehen und gehen? – Übertrieben und unhöflich!
„Ehm, bitte kein Alk‘ am Tisch!“ – Was geht’s mich an, was sie trinkt?
Ihr Bier kommt und wir beginnen die Unterhaltung.
Erst die notwendige „Lästerrunde“ über die DozentInnen, um der Wut Platz zu machen, dann über Gott und die Welt.
Erst geht es um die Kirche, dann um kirchliche Einrichtungen, dann die Verbundenheit zur Kirche, womit die Moscheethematik nicht mehr lange auf sich warten lässt. Dann geht es um Moscheen, islamische Einrichtungen, Gemeinden, Nationalitäten und Identitäten. Und da ist sie, die Frage aller Fragen: wer bist du eigentlich, Esim?
„Weißt du, erst kam mein Opa, der „Gastarbeiter“, dann mein Vater, das „Gastarbeiterkind“, der nie eine Bildungschance haben würde, da er eigentlich ja wieder gehen sollte. Und dann kam ich. Die Enkeltochter eines „Gastarbeiters“ und die Tochter eines bildungsfernen „Gastarbeitersohnes“.
Doch das Wort –Gastarbeiter- ist unrichtig gewählt, denn irgendwann wurden sie leise und still, vor sich hin, den Traum vom Haus auf dem Dorf aufgebend und sich mit Glockenklängen anfreundend, von Gastarbeitern zu Bürgern dieses Landes. Doch niemand, ja nicht einmal sie selbst, bemerkten dies.
Heute ist es nicht mehr so. Wir, die Jugend die zum Teil schon die 4. Generation hier ist, verschanzen uns nicht mehr in unsere Ecken, in denen wir „unsere Sprachen“ sprechen. Unsere Sprache ist nämlich die deutsche und unsere Ecken sind die Universitäten, die Schulen, die Büros, die Sitze in politischen Vereinen und der Joga-Kurs.
Ich bin nicht (mehr) die Enkeltochter eines Gastarbeiters. Ich bin Esim, die muslimische, deutsche Studentin, die sich für das Wohl der deutschen Gesellschaft einsetzen möchte und einsetzt.“
Ihr Bier halb voll (oder halb leer – kommt drauf an wie die seelische Stimmung so ist) nickt sie eifrig. „Und ‚der Islam’?“
Sie fragt mich nach „DEM“ Islam.
„Ja, zum Beispiel die Mädchen, die nur halb so viel dürfen als die Männer, was sagst du dazu, als emanzipierte Frau?“
Die anderen Zwei machen große Augen, die Stärkung ihrer Vorurteile erwartend. Glaube ich zumindest.
„Ich hasse Tradition“, sage ich ganz plump. „Und mehr als dass ich Tradition hasse, mag ich es nicht, wenn man die Tradition so darstellt als sei sie Religion. Meine „emanzipierte“ Ader habe ich vom Islam, von den Frauen des Propheten Muhammad (s). Nicht von A.Schwarzer & Co. oder Feministinnen Zeitschriften.“
Ihre Schokolade ganz ausgetrunken schaut sie mich erstaunt an.
„Wenn man dich von außen so sieht, will man dich sofort in die Schublade des braven, türkischen Mädchens stecken. Aber dann sitzt du hier und machst mein komplettes Weltbild kaputt in dem du auf den Tisch haust und meinst „Ich hasse Tradition“!“
Ich lächle. Das Bier der 4. im Bunde ausgeblendet, zu sehr in der Rolle der freien, deutschen, muslimischen Frau vertieft, verlasse ich am Ende das Café. Eine Umarmung – bis Montag!
Es war ein guter Tag. Ich habe das Gefühl etwas bewirkt, etwas bewegt zu haben. Und das, während Bier auf dem Tisch stand.