„Scheiß Ausländer!“, sagte der Kanake zum Flüchtling.

„Diese dreckigen Ausländer, Alter! Die sollen sich verpissen! Sie sind dreckig, haben keine Manieren und sie stinken. Ich will sie nicht vor meiner Tür haben!“, sagt er, mit seinen 18 Jahren. Er, Sohn türkischstämmiger Eltern, über Flüchtlinge die in die Nachbarschaft ziehen sollen.

„Geh bloß nicht mehr am Abend alleine raus, meine Tochter! Ihnen kann man nicht trauen. Sie sind bestimmt krank im Kopf, nach allem was sie erlebt haben. Rede nicht mit ihnen, schau auf den Boden wenn du sie siehst, und wenn sie dir entgegen kommen, dann wechsle am besten die Straßenseite. Sie sind weit weg von ihren Frauen und denken bestimmt, dass die europäischen Frauen alles mit machen. Ah, ah! Sie tun mir ja schon Leid, aber ich habe Sorge um meine Töchter!“, sagt sie und zupft ihr Kopftuch zu Recht. Sie, mit 12 Jahren als Tochter eines Gastarbeiters nach Deutschland gekommen.

In der Kleinstadt meiner Eltern wurden Notunterkünfte für Flüchtlinge aufgestellt. Ein paar Zelte am Ende der Stadt, nahe Autobahnauf-und ausfahrt. Sie, die „Flüchtlinge“ sehe ich zum ersten Mal, als mein Cousin mit seinem BMW an ihnen vorbei fährt um sie mir zu zeigen. Wie als würden wir in den Zoo fahren um Tiere zu begutachten. Sie sitzen mit ein paar Flaschen in der Hand unter einem Baum und winken uns zu als wir an ihnen vorbei fahren. Sie tun nichts. Sie sitzen einfach nur dort, unterhalten sich und trinken etwas.

Ich finde die Reaktionen der Personen mit „Migrationshintergrund“ erschreckend! Ich bin schockiert, empört und tottraurig, als ich höre, wie sie über die Flüchtlinge sprechen. Ich möchte sie an ihre eigenen Erfahrungen, ihre Vergangenheit erinnern, in der  auch sie in die damals noch Fremde gekommen sind, und man sie „Kanake, Dreckstürke/-Araber/-Albaner/-Russe (…) genannt hat. An die Zeiten in der die „Deutschen“ ihre Töchter vor den „Kameltreibern“ warnten, da sie alle sexsüchtige Geier seien. Daran, dass Ghettos errichtet worden sind, in welchen auch ich aufgewachsen bin, da niemand sie in ihrer Nachbarschaft haben wollte.

Und was ist nun? Jetzt gehören sie etwa zu den „Besseren“, zu der „weißen Rasse“, zu der „Elite“? Jetzt fahren sie gute Autos, haben deutsche Nachbarn mit denen sie Tee trinken und besitzen ein Haus. Was ist jetzt? Sind sie jetzt „besser, reiner, sauberer, wohlduftender, gebildeter“ als die Flüchtlinge? Wo bleibt die Erinnerung an die Vergangenheit? Die Erinnerung an die Feindseligkeiten, die sie erleben mussten? Die Erinnerung an die Tage, an denen die Frau und die Kinder Jahre vom Vater getrennt waren, da er hier in Deutschland arbeitete um ihnen ein schönes Leben bescheren zu können?

Werden sie, werden wir, die mit dem „Migrationshintergrund“ etwa die neuen Nazis?!

„Sie sprechen aber gut Deutsch!“ – „Ha, Sie aber auch!“

Mit der Bahn auf dem Weg Nachhause  setzte sich ein etwas älterer Herr mir gegenüber. 

Zu Beginn musterte er mich nur etwas, doch ich machte mir nichts daraus, da ich das schon gewohnt bin. Nach einer Weile sah ich zu ihm und schenkte ihm einfach ein Lächeln. 

Als hätte er nur darauf gewartet legte er sofort los: „Das Wetter heute ist aber schön, nicht?“, fragte er mich. Noch bevor ich antworten konnte, er weiter: „Sie haben aber ein nettes Tuch an. Woher kommen Sie denn?“ 

Ich, mit einem freundlichen Lächeln: „Aus Heilbronn komme ich.“ 

Diese Antwort hatte der Herr offensichtlich nicht erwartet. Er schaute erst etwas verwirrt, lies sich aber davon nicht von seiner Linie abbringen. „Aus der Türkei, oder?!“ 

Wieder mit einem Lächeln, ich: „Ja, wenn Sie meine Eltern meinen, die sind ursprünglich aus der Türkei, ja.“ 

Da hatte er seine für ihn zufrieden stellende Antwort. Ich fand es eigentlich ganz süß, da ihn das zu begeistern schien. Er erzählte mir, dass er vor etwas 30 Jahren nach dem Bund ein Auto mit seinem Kollegen gemietet hatte und dann quer durch die Türkei fuhr. Jede Stadt in der er war erwähnte er und fragte gleich nach, ob ich denn auch schon dort gewesen bin. Ich musste leider jede einzelne Stadt verneinen. 

Wir unterhielten uns lange und nett mit diesem Herrn. Ich fand es interessant, was er so erzählte. 

Später, an meiner Haltestelle angekommen bedankte ich mich für das nette Gespräch und wünschte ihm einen schönen Tag. 

Der Herr lächelte mir nett zu und meinte: „Was ich noch sagen will: Sie sprechen aber sehr gut Deutsch! Beeindruckend!“ 

Ich lächelte breit  zurück und antwortete: „Ha! Danke, Sie aber auch!“

Die Vielfalt mit Ahmet und Hans im Sandkasten.

In meinem Studium haben wir ein Seminar mit dem Titel „Diversity Education“. Man kann es auch Vielfaltspädagogik nennen.

Das Ziel in diesem Seminar ist es, neben Theorie und wichtigen Pädagogen, zu lernen, wie man PädagogInnen, Eltern aber auch Kinder für Vielfalt, Interkulturalität und Fremdheit „sensibilisieren“ kann.

Im Seminar hatte ich nach 3 Vorlesungsstunden, in dem der Prof. den Diversitätsbegriff lang und breit erklärt hatte, einen kleinen Einwand:

Ich frage mich, was denn das wirkliche Ziel von diesen Diversitytrainings und ähnlichen Dingen sind, und wohin das führt bzw. führen soll. Vor allem bei Kindern.

Wenn Ahmed und Hans im Sandkasten miteinander spielen ist es Hans egal, ob Ahmed türkische Wurzeln hat, und Ahmed ist es egal, ob Hans Deutsch ist. Ihnen ist in dem Moment nur wichtig, wer die Schaufel zum Graben bekommt.

Dann kommt die gut für Interkulturalität und Vielfalt ausgebildete Fachkraft, die absolut weiß was sie tut und sagt etwas wie:

Hey, Jungs ich verrate euch jetzt mal was;
Hans, weißt du, der Ahmet ist anders als du. Weil er hat einen türkischen „Migrationshintergrund“. Dies bedeutet, dass er laut Lehrbüchern ein Risikokind ist, und wahrscheinlich auch andere Risikofaktoren wie ein sozial schwaches Umfeld, mehrere Geschwister und vieles mehr auf ihn zutreffen. Das heißt, laut Lehrbüchern dürfte aus ihm eigentlich nicht sehr viel werden. Zudem wird er dich wahrscheinlich machohaft anmachen, wenn du ihm nicht die Schaufel gibst, wenn er sie will.

Ahmet und weißt du, der Hans, der ist Deutsch. Also hat er keinen „Migrationshintergrund“ sowie du. Er braucht also keine besondere Betreuung und Förderung wie du, weil er kein Risikokind ist. Laut Lehrbüchern ist er kein Risikokind und aus ihm dürfte etwas werden.

Aber kein Problem! Unser Pädagogikverständnis ist so toll, dass ich das sofort wieder regeln kann. Ich kann euch nämlich dafür sensibilisieren!

*

Kindern die absolut keine Unterschiedlichkeit in unserem Verständnis aneinander wahrnehmen und dies absolut nicht als Differenz sehen, suggerieren wir im Deckmantel der „Interkulturellen Bildung und Diversity-Pädagogik“, dass sie unterschiedlich und zum Teil „anders“ sind.

Etwas das eigentlich gleich ist, „ENT-gleichen“ wir mit diesem Verhalten, wie es die Soziologie nennt. Man spaltet und trennt um es dann mit Sensibilisierung wieder gleich machen zu können. Beachten aber nicht, dass uns das nie gelingen wird, weil die Spaltung zuvor kam.

Das Ziel von Vielfaltspädagogik sollte es sein, dass es in dieser Form keine Vielfaltspädagogik mehr gibt!
Ich möchte irgendwann in einen Raum treten, und nicht nur als Muslima, oder „hm, wahrscheinlich Araberin? Türkin?“ wahrgenommen werden, sondern als das, als die ich dort anwesend bin. Studentin, Schreiberin, angehende Pädagogin, Jugendarbeiterin und vieles mehr.

Ziel der Diversity Education sollte es sein, dass keine Sensibilisierung mehr nötig ist. Denn sie ist nur nötig, wenn zuvor gespalten worden ist.

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Feridun Zaimoğlu: Norddeutscher mit Migränehintergrund.

zaimoglu

Am Dienstag war ich im Literaturhaus Stuttgart und habe dort eine Podiumsdiskussion und Lesung von Feridun Zaimoğlu (Schriftsteller) und Dr. Yaşar Aydın (Sozialwissenschaftler) gehört.

Der Grund für meinen Besuch an dieser Veranstaltung war Feridun Zaimoğlu. Ich habe einige Interviews von ihm gesehen und habe gemerkt, dass seine Meinung zur Thematik der Migration, der Ausländer, zur „interkulturellen“ XY dieselbe ist, wie die meine.

Auf die Einstiegsfrage der Moderatorin was denn Heimat für sie persönlich bedeute, antwortete der Sozialwissenschaftler etwas länger. Er könne diese Frage nicht mit einem Prozentsatz beantworten, meinte er. Er speise von beiden Kulturen, und fühle sich zu beiden zugehörig. Er holte weit aus, thematisierte die Ganze Identitätsthematik und sagte wieder: ich speise aus beiden Fässern.

Als die selbe Frage an Zaimoğlu gerichtet wurde, hielt er kurz inne und sagte ganz einfach und bestimmt: Norddeutschland.

Das faszinierte mich. Ich dachte mir in diesem Moment nur: endlich jemand, der nicht anfängt mit der Migrationsgeschichte, seiner innerlichen Zerrissenheit zwischen zwei oder mehreren Kulturen und seiner Opferrolle des Heimatlosen „Türken“. Ganz einfach. Eine einfache Frage. Eine einfache Antwort.

Später erzählte Zaimoğlu von seiner Jugend und den „Türken“ die damals begannen, ihre Art und Weise zu ändern, um zu den „Anderen“, in dem Falle die „Deutschen“, zu gehören. Er beschrieb ihre „wie an einem Lineal entlang geschnittenen Haare mit Seitenscheitel“ und ihre „langweilige“ Art. Er bezeichnete diese Personen als „Ethno-Zombies“, und beschuldigt sie damit, die Identitätskrise ausgelöst zu haben. So wollte er nie sein und will er nie sein.

Später als ich die Möglichkeit nach der Lesung fand, sprach ich Feridun Zaimoğlu an und bedankte mich für seine einfache Antwort „Norddeutschland“. Ich fand es beeindruckend, dass jemand sein Selbst gefunden hat, ohne die äußeren Einflüsse so sehr in sein Unterbewusstsein zu lassen, dass er auf so eine Frage, die auch für „uns mit Migrationshintergrund“ endlich einmal einfach zu beantworten sein sollte, auch einfach antwortete. Nach einer kurzen Unterhaltung darüber, fragte ich ihn, in Anlehnung an ein altes Interview, in welchem er über die Begriffe „Kanake“ und „Türke“ diskutierte, was er denn von den neuen Begriffen wie „Migrationshintergrund“ halte.
Er lächelte mich an, wartete kurz und sagte: „“Migrationshintergrund“ erinnert mich an Migräne! Finde ich scheiße.“

Ich war auch froh darüber diese Antwort zu hören.

Ich empfinde diese Begrifflichkeiten als Hindernis für eine „gelungene Integration“, wobei der Begriff „Integration“ für mich auch ein Hindernis darstellt. Diese Begrifflichkeiten sind für mich kaum was anderes als eine Differenzierungsmöglichkeit im politischen, soziologischen, ethnologischen und sozialwissenschaftlichen Rahmen. Es macht es einem nicht einfach. Es macht es einem schwer.

Früher war es normal einen türkischstämmigen Menschen als „Kanaken“ zu bezeichnen. Irgendwann wurde das politisch unkorrekt und man sagte „Türke“. Auch das wurde irgendwann politisch unkorrekt und man sagte „Ausländer“. Und heute ist es der mit dem „Migrationshintergrund“.

Für mich haben die Worte „Kanake“ und „Migrationshintergrund“ keinerlei Unterschied in ihrer Bedeutung, da sie beide dasselbe anrichten: trennen, spalten, differenzieren und erschweren. Nur, das Eine wurde vor 20 Jahren gesagt, das Andere heute. Vom „Kanaken“ zum „mit Migrationshintergrund“ also. 

Zaimoğlu sagte gegen Ende dieser thematischen Auseinandersetzung in etwa: „Lieber nenne ich mich „fremdstämmig“ als „mit Migrationshintergrund“.
Ich finde das unglaublich mutig und gut.

Zaimoğlu sieht sich als Norddeutscher. Das sagt er ganz klar. So wie ich immer sagte, dass ich mich als Deutsche sehe. Er erwähnt während der Lesung oft, dass er ein großes Problem darin sehe, dass das „Deutsche“ immer das „zu Überwindende“ für die Jugendlichen dargestellt wird, oft auch von Gemeinden.

Das was er verinnerlicht hat, möchte ich in meiner Arbeit an die Jugendlichen und Kinder weiter geben. Es sich nicht unbedingt schwerer zu machen, als es schon ist, nur weil es sozio-politische Begrifflichkeiten gibt, die meiner Meinung nach bewusst zur Trennung führen sollen, sondern auf eine einfache Frage, eine einfache Antwort geben zu können. Dafür kämpfe ich.

Und wie Zaimoğlu am Dienstag mir in die Augen blickend sagte:
Ich liebe den Kampf. Kämpfen ist was tolles! Und ich sehe dir an, du hast viel gekämpft und kämpfst gerade in diesem Moment. Und dein Kampf wird noch lange gehen und er wird nicht einfach sein. Dafür wünsche ich dir viel Kraft. Aber der ständige Traum von Harmonie ist nicht real. Kämpfen – kämpfen ist was Echtes!“

Zu ähnlichen Thematiken:
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Foto: Deutsch Türkisches Forum Stuttgart

Gastarbeitergespräche bei Bier & Früchtetee.

Mein aromatisierter Früchtetee und mein Bienenstich stehen bereit. Neben mir zwei Freundinnen mit heißer Schokolade und je einem Kuchenstück.
Wir fangen an uns zu unterhalten, da kommt sie, die vierte im Bunde – fertig vom Unitag und bestellt. Bestellt ein Bier.

Jahre ist es her, dass ich an einem Tisch mit Alkohol saß. Ungewöhnlich vielleicht für Nicht-Muslime dieser Gedanke, aber ungewöhnlich für mich, dass Bier auf dem Tisch steht, an dem ich sitze.

Aufstehen und gehen? – Übertrieben und unhöflich!
„Ehm, bitte kein Alk‘ am Tisch!“ – Was geht’s mich an, was sie trinkt?

Ihr Bier kommt und wir beginnen die Unterhaltung.
Erst die notwendige „Lästerrunde“ über die DozentInnen, um der Wut Platz zu machen, dann über Gott und die Welt.

Erst geht es um die Kirche, dann um kirchliche Einrichtungen, dann die Verbundenheit zur Kirche, womit die Moscheethematik nicht mehr lange auf sich warten lässt. Dann geht es um Moscheen, islamische Einrichtungen, Gemeinden, Nationalitäten und Identitäten. Und da ist sie, die Frage aller Fragen: wer bist du eigentlich, Esim?

„Weißt du, erst kam mein Opa, der „Gastarbeiter“, dann mein Vater, das „Gastarbeiterkind“, der nie eine Bildungschance haben würde, da er eigentlich ja wieder gehen sollte. Und dann kam ich. Die Enkeltochter eines „Gastarbeiters“ und die Tochter eines bildungsfernen „Gastarbeitersohnes“.
Doch das Wort –Gastarbeiter- ist unrichtig gewählt, denn irgendwann wurden sie leise und still, vor sich hin, den Traum vom Haus auf dem Dorf aufgebend und sich mit Glockenklängen anfreundend, von Gastarbeitern zu Bürgern dieses Landes. Doch niemand, ja nicht einmal sie selbst, bemerkten dies.
Heute ist es nicht mehr so. Wir, die Jugend die zum Teil schon die 4. Generation hier ist, verschanzen uns nicht mehr in unsere Ecken, in denen wir „unsere Sprachen“ sprechen. Unsere Sprache ist nämlich die deutsche und unsere Ecken sind die Universitäten, die Schulen, die Büros, die Sitze in politischen Vereinen und der Joga-Kurs.
Ich bin nicht (mehr) die Enkeltochter eines Gastarbeiters. Ich bin Esim, die muslimische, deutsche Studentin, die sich für das Wohl der deutschen Gesellschaft einsetzen möchte und einsetzt.“

Ihr Bier halb voll (oder halb leer – kommt drauf an wie die seelische Stimmung so ist) nickt sie eifrig. „Und ‚der Islam’?“
Sie fragt mich nach „DEM“ Islam.
„Ja, zum Beispiel die Mädchen, die nur halb so viel dürfen als die Männer, was sagst du dazu, als emanzipierte Frau?“
Die anderen Zwei machen große Augen, die Stärkung ihrer Vorurteile erwartend. Glaube ich zumindest.

„Ich hasse Tradition“, sage ich ganz plump. „Und mehr als dass ich Tradition hasse, mag ich es nicht, wenn man die Tradition so darstellt als sei sie Religion. Meine „emanzipierte“ Ader habe ich vom Islam, von den Frauen des Propheten Muhammad (s). Nicht von A.Schwarzer & Co. oder Feministinnen Zeitschriften.“

Ihre Schokolade ganz ausgetrunken schaut sie mich erstaunt an.
„Wenn man dich von außen so sieht, will man dich sofort in die Schublade des braven, türkischen Mädchens stecken. Aber dann sitzt du hier und machst mein komplettes Weltbild kaputt in dem du auf den Tisch haust und meinst „Ich hasse Tradition“!“

Ich lächle. Das Bier der 4. im Bunde ausgeblendet, zu sehr in der Rolle der freien, deutschen, muslimischen Frau vertieft, verlasse ich am Ende das Café. Eine Umarmung – bis Montag!

Es war ein guter Tag. Ich habe das Gefühl etwas bewirkt, etwas bewegt zu haben. Und das, während Bier auf dem Tisch stand.

Migration.

„Migration ist meist ein hoffnungsvoller, mit großem Gestaltungswillen verbundener Prozess, der auch eine Herausforderung im Positiven darstellen.“
(Ingrid Gogolin, 2001, S. 1032) (Hervorhebungen durch mich)

Herausforderung?

Die erste Herausforderung die Kinder mit Migrationshintergrund haben ist, dass sie immer als „Kinder mit Migrationshintergrund“ betitelt und als diese abgestempelt werden. Nach dem Motto: Willkommen in der Schublade der ‚Statistikenfüller’ und Versager.

Wir sehen Migration oft als negative Herausforderung (für uns als PädagogInnen und auch für die Kinder). Doch sehen wir nie das Positive hinter dem Bild.

Kinder mit Migrationshintergrund müssen sich in der Gesellschaft immer mehr behaupten. Sie werden nicht nur von der Bildungsgesellschaft unter Druck gesetzt, sondern haben zusätzlich den Druck im Zuhause „Oglum/Kizim, okuda Adam ol!“ (sinngem.: Mein Kind, studier’/lerne und werde zu einer bedeutenden/erfolgreichen Person) und sie setzten sich immer mehr selbst unter Druck. So werden Kinder und Jugendliche nicht nur von außen getrimmt, sondern sie trimmen sich im Inneren auch selbst.

Denn sie wissen: wenn sie eine Zeit lang „schwach“ sind, zeigt man mit dem Finger auf sie. Sie sind dann die schwachen „Türken/Araber/xy…-Kinder“. Sie werden Teil einer schlechten Statistik wovon es zur Genüge gibt und sind nicht einfach nur in einer schlechten Phase.

Es werden Statistiken über sie erstellt und immer wird über sie gesprochen, statt auf die Idee zu kommen einmal auch mit ihnen zu sprechen. Die Personen die dann versuchen mit ihnen zu sprechen, sind Personen zu denen sie keinerlei Zugang haben. Ist sowas zielführend?

So sind Kinder und Jugendliche mit „Migrationshintergrund“ immer getrimmt einen Schritt voraus zu sein um sich in der Gesellschaft zu beweisen und zu behaupten.
Wenn wir den Förderwahn der Eltern schon so kritisieren, wie sehr ist dann so eine Art zu Leben zu kritisieren? Tut das einem jungen Menschen wirklich gut?

Aber abgesehen davon ob man das gut finden soll oder nicht – was macht das mit einem Menschen?
Um sich immer behaupten und beweisen zu können, muss man sehr ehrgeizig sein, über viel Disziplin verfügen und Vertrauen in sich selbst haben. Sind dies nicht Aspekte die bemerkenswert für Menschen in so jungem Alter sind?

Ein Teil der Top-Themen in Bezug auf Migration ist die Sprache.
Mehrsprachigkeit war und ist noch immer ein hoch angesehenes Gut in der Gesellschaft. Stellen wir uns vor: wenn ein Mensch zu uns kommt und meint er/sie spricht 5 Sprachen, sind wir dann nicht beeindruckt? Welch’ ein intelligenter und kultivierter Mensch, denken wir uns.
Doch wenn es Türkisch, Arabisch, oder ähnliches ist, ist es ein Zeichen von misslungener Integration. (?) So wird deutlich, dass einige Sprachen für Fortschritt und andere für Rückschritt stehen. Doch ist Sprache nicht gleich Sprache? Ist nicht jede Sprache gleichwertig?

Ist Sprache nicht etwas, dass die Welt verbindet und eint? Ist sie nicht ein Gut, das Welten bewegen kann?
So sollten wir Sprache als wertvoll und als wichtiges Gut ansehen und das so auch (in unserer Arbeit und unseren Alltag) kommunizieren.
Kinder und Jugendliche sollten nicht als minder angesehen werden, weil sie Zuhause eine andere Sprache sprechen oder gar Ablehnung erfahren.
Im Gegenteil, sie sollten wissen, dass das eine Ressource ist, die sie auch für die Gesellschaft nutzen können. Schließlich soll laut SGB 8 jedes Kind zu einem gesellschaftlich-sozialen Wesen herangezogen werden.

Stellen wir uns einen Selbstfindungsprozess vor, die Identitätsbildung eines jungen „Migranten“.
Als Migrant in einer deutschen Gesellschaft – zu welcher Seite gehört man?
Die Frage ist eine sehr zentrale Frage bei Kindern und Jugendlichen mit Mh.. Aber die entscheidende Frage die sich stellt: wieso muss man sich zwischen den Stühlen entscheiden?

Es gibt 3 Varianten die man hier anwenden könnte:
1. Man entscheidet sich für einen Stuhl der beiden: das führt entweder zu Assimilation oder zu „misslungenen Integration“.
2. Man entscheidet sich für keinen der beiden Stühle. Also steht man zwischen den Stühlen. Zwischen den Stühlen stehen bedeutet oft zu keiner Seite gehören. Ist dies förderlich für eine Identitätsbildung in solch „kritischen Lebensjahren“?
3. Man entscheidet sich für beide Stühle.

Variante 3 ist eines der Varianten die oft von der Gesellschaft als nicht-möglich betitelt werden. Doch frage ich nun, wieso sollte dies nicht möglich sein? Wieso muss man entweder das Eine oder das Andere sein? Wieso kann man sich nicht beiden Seiten zugehörig fühlen, zwei Stühle zu einem umbauen und seinen eigenen Identitäts-Stuhl entworfen haben?
Wieso kann man nicht zum Beispiel sagen: ich bin hier geboren und aufgewachsen. Ich sehe und definiere mich als Deutsche/r. Die Herkunft meiner Eltern sehe ich als Bereicherung und wertvolles Gut an, dass ich nicht ablegen möchte.

So sollten wir beginnen „Migration“ nicht nur immer mit negativen Dingen zu verbinden sondern mit all ihren Teilen (Sprache, Kultur, Geschichte…) als Bereicherung und Ressource wahr- und anzunehmen.

(Erklärung: Dieser Text ist ein Ausschnitt einer Präsentation die ich im Rahmen meines Studiums angehalten habe. Deshalb ist er vielleicht etwas unstrukturiert, da einige Teile aus dem Kontext gerissen sind. Ich habe versucht ihn so gut wie möglich zu ergänzen, damit man versteht, worauf ich hinaus möchte.
Dennoch wollte ich es hier teilen, da ich Dinge angesprochen habe, die mir persönlich sehr am Herzen liegen.)