Wenn sich Aisha einer Terrorgruppe anschließt bin ich mit Schuld!

Ich stehe an der Haltestelle und möchte ganz friedlich zu meinem Nähkurs fahren, als eine Gruppe von Jungen (mit „Migrationshintergrund“) die ca. im Alter von 16 Jahren waren total begonnen haben  zu lachen. Das Lachen war extrem laut, so dass sich die anderen Menschen welche an der Haltestelle standen nach ihnen umdrehten.

Erst schenke ich ihnen keine Beachtung – blöde kleine pubertierende Jungs, die den Style eines komischen Rappers kopieren, in ihren noch nicht volljährigen Mäulern Zigaretten haben und denken, sie seien die größten Gangster der Stadt.
Einer schreit aber plötzlich: ’schau mal, da kommt so ein deutscher Opa, lass mal wieder laufen, aber lauter!‘ Alle lachen wieder.
Plötzlich höre ich worüber sie lachen und was sie sich auf dem Handy anschauen. Ein Video. Ein Video in dem Vollidioten die sich Muslim nennen etwas in die Luft sprengen und Allahu akbar dabei schreien.
Der alte deutsche Mann, wie sie ihn nennen,  ist total irritiert. Eine Dame ebenso und sie entfernen sich von der Gruppe welche sich vor lachen nicht mehr ein kriegt.
Diese Jungs schauen Videos von Anschlägen an  in welchen Allahu akbar geschrien wird und amüsieren sich über die Leute, die sich von ihren kanakischen  Körpern entfernen.
Und ich frage mich: was haben wir falsch gemacht?  Was hat die Gesellschaft bei der Erziehung und Bildung dieser armen Jungs falsch gemacht, sp dass sie so Zeug anschauen,  dass sie sich dabei auch noch  cool finden, dass sie das immer lauter an der Bahn Haltestelle aufrufen und darüber lachen, wenn Menschen sich von ihnen räumlich entfernen. Wahrscheinlich in ihrem privaten Leben nicht nur räumlich.

Was habe ich falsch gemacht, wenn Ahmed, Mehmet, Muhammed oder Aisha, Fatma oder Buse, die in dieser Gruppe stehen irgendwann tatsächlich nach Syrien flüchtet um  dort zu kämpfen? Wenn es nicht bei der Belustigung und dem kindlichen Überlegenheitsgefühl bleibt, wenn sich jemand vor Angst oder Schreck von ihnen entfernt?

Ich frage mich, was die ganzen Jugendlichen denken und fühlen, wenn sie sich solch kranken Gruppen anschließen oder wenn sie es „nur“ gut finden, was diese tun. 

Was hat die Gesellschaft, die Schule, die Familie getan, dass kranke Menschen mehr und stärkeren Einfluss haben auf die Jugend als sie selbst – als ich? 

Was geben  radikale Gruppierungen, egal in welche Richtung sie radikal sind, den Jugendlichen, was die „normale“ Gesellschaft ihnen nicht geben  kann?

Wir leben in einer Welt, in der du „sein“ musst. Dein Leben lang arbeitest du darauf hin, gesellschaftliche Anerkennung zu finden und zu bekommen. Wenn du in der Gesellschaft aber nicht angenommen wirst, kein Zugehörigkeitsgefühl besteht und du evtl. sogar noch diskriminiert wirst, dann brauchen wir uns nicht wundern. 

Ich sehe die Aufgabe der Prävention und der Intervention bei jedem einzelnen Menschen, der etwas weiter im Geiste ist. Wir müssen uns um die Kinder und Jugendlichen kümmern, sie an der Hand nehmen und ihnen die schöne, die möglich erfolgreiche Welt zeigen, in der wir auch leben. Wir müssen ihnen zeigen, dass es Auswege gibt, dass auch sie ein Teil dieser Gesellschaft, dieser Bevölkerung sind. 

Wenn Aisha sich heute einer radikalen Gruppe anschließt, dann muss ich mich dafür schämen! Denn Menschen dieser Gruppe haben sich ihrer früher angenommen als ich – und wir haben sie dadurch „verloren“. Wenn Hans sich der rechten Szene anschließt, dann ist mein Gutmensch Nachbar mit verantwortlich dafür, denn sie spielten gemeinsam Fußball und die Rechten haben sich seiner früher angenommen als er – und wir haben ihn dadurch „verloren“. 

Eine Aufgabe des Einzelnen ist es, Terror entgegen zu wirken und präventiv Maßnahmen zu üben! Die Kinder und die Jugendlichen sind in unserer Verantwortung – das müssen wir verstehen und akzeptieren! 

Wieso #Paris mich als Muslim/a betreffen sollte.

Ich glaube, ich brauche nicht zu erwähnen, was die letzten wenigen Tage die ganze Welt bewegt hat – der Anschlag in Paris. Als ich den Abend zu Hause saß und die Nachrichten las, wusste ich eigentlich gar nicht so recht was ich denken, fühlen oder was ich tun sollte.

Eine Art von Ohnmacht überkam mich, und eigentlich hatte ich mir vorgenommen, die Tage nicht in meine sozialen Netzwerke rein zu schauen, da ich mir das Ganze drum herum ersparen wollte.

Die Rechten, die diese Dinge unverschämt und widerwärtig für ihre eigenen Zwecke ausnutzen, um gegen Muslime, Menschen mit Migrationshintergrund und Flüchtlinge zu hetzen, aber auch Muslime, die in eine Trotzreaktion verfallen und nicht einsehen wollen, wieso sie diese Dinge auch betreffen!

Immer wieder höre ich Sätze wie: „“Wieso soll ich jetzt eine Mahnwache organisieren/besuchen nur weil ich Muslim/a bin. Ich habe doch damit nicht zutun. Da bekenne ich mich doch nur, dass das was mit „uns“ zutun hat. Und für Syrien macht ja auch keiner eine Mahnwache!“ oder auch „wenn in Palästina, Syrien, etc. etwas passiert, dann juckt es keinen Menschen, aber mal passiert was in Europa und wir müssen uns alle schämen und uns von etwas distanzieren.“

Meine Meinung, wieso es wichtig ist, Stellung zu beziehen bei solchen Ereignissen, genau eben dann, wenn sie in Europa passieren:

Mein Vater bat mich einen Tag nach dem Anschlag abends für die nächsten Tage nicht mehr alleine raus zu gehen, vorsichtig zu sein, ihn öfter anzurufen – ich wohne und lebe allein und er mache sich Sorgen, dass der Hass der Bevölkerung auch seine Tochter treffen könnte.
Und das, genau das ist der Grund, wieso ich heute bei der Mahnwache für Paris mit dabei stand – damit die Bevölkerung weder gegen mich oder meinen Vater noch gegen irgendeinen anderen Muslim Hass entwickelt und klar zwischen den Attentätern und uns differenzieren kann.

Es betrifft uns, wenn in Europa etwas geschieht und „“Muslime“ sich zu diesen schrecklichen Taten bekennen. Natürlich haben Hass, Terror und Mord nichts mit der Barmherzigkeit des Islams zutun, dennoch ist es nun mal so, dass diese Menschen die diese Taten ausüben angeben, dass sie das im Namen des Islam tun.

Und wir müssen deshalb dagegen stehen. Wir müssen mit unserer Anteilnahme, mit unserem Mitgefühl und unserer Liebe und Barmherzigkeit zeigen, dass die Mehrheit der Muslime weder so denkt, so fühlt oder so lebt wie die Menschen, die solche Taten verüben.

Ein Terroranschlag im Nahen Osten betrifft mich selbstverständlich auch. Jeder Terroranschlag, egal wo auf der Welt betrifft und trifft mich! Ich bin ein Mensch! Ich bin eine Muslima und weil ich Muslima bin, stehe ich gegen Ungerechtigkeit, Unterdrückung und Leid, egal wo und an wem sie verübt wird.

Aber die Dawa, die Einladung zum Guten und auch die Pflicht eines jeden Muslims, den Islam so darzustellen wie er im Innersten seines Seins ist -und das ist Liebe, Vergebung und Zusammenhalt- muss ich als europäische Muslima erst einmal in meinem eigenen Land – Deutschland, bei meinen eigenen Nachbarn –Frankreich verbreiten! Das entnehme ich dem Beispiel des Propheten Muhammed (s) der sich nach der Offenbarung erst an seine engsten Kreise richtete und sich jahrelang auf seine Stadt konzentriert hatte.

Ich lebe hier, meine Großeltern haben hier gelebt, meine Eltern leben hier und ich möchte, dass auch noch meine Kinder hier leben werden. Und damit Diese ein Teil dieser Gesellschaft werden können und durch Taten von kranken Menschen nicht in der Gesellschaft benachteiligt oder diskriminiert werden, muss ich heute etwas tun. Ich muss zeigen, dass auch ich ein Teil der Gesellschaft, ein Teil der Bevölkerung bin und das alles, was Deutschland und Europa betrifft und trifft ebenso mich betrifft und trifft!

Es passiert viel Ungerechtigkeit auf der Welt und es stimmt ja – auch Muslime leiden. Sehr vielen Menschen in muslimischen Ländern sind Anschläge schon zum traurigen und leidvollen Alltag geworden und jeder Mensch, der seine Menschlichkeit nicht hat im Egoismus ertrinken lassen bewegt das mit Sicherheit sehr. Ich will gar nicht abstreiten was es für schlimme Taten aus allen Seiten der Welt gibt, auch von der ach so zivilisierten Elite dieser Welt,

doch wenn ich heute in der Stadt angespuckt wurde und mit „Kopftuchhure, ihr bringt nur Unheil“ beleidigt wurde, wenn mein kleiner Bruder für einen Ausbildungsplatz seinen Bart abrasieren soll, da das „zu „terroristisch“ wirke und ich mit meinem Kopftuch erst gar keine Chance auf einen Platz bekomme, wenn Moscheen in Deutschland und/oder Frankreich zu gemacht werden sollen, wenn Muslime unter Generalverdacht stehen, wenn Politiker den Mut haben ein Ausgehverbot für Muslime zu fordern, dann liegt das nicht an den Anschlägen in Syrien, Palästina oder sonst wo, sondern an denen in Europa, in Paris.

Ich wünsche den Familien der Opfer viel Geduld und Kraft und unserer Gesellschaft den Mut und die Ausdauer, auch das in Frieden und Zusammenhalt zu überstehen!

 

mahnwache_kaKarlsruhe Schlossplatz, Mahnwache für Paris, 16.11.2015