„Scheiß Ausländer!“, sagte der Kanake zum Flüchtling.

„Diese dreckigen Ausländer, Alter! Die sollen sich verpissen! Sie sind dreckig, haben keine Manieren und sie stinken. Ich will sie nicht vor meiner Tür haben!“, sagt er, mit seinen 18 Jahren. Er, Sohn türkischstämmiger Eltern, über Flüchtlinge die in die Nachbarschaft ziehen sollen.

„Geh bloß nicht mehr am Abend alleine raus, meine Tochter! Ihnen kann man nicht trauen. Sie sind bestimmt krank im Kopf, nach allem was sie erlebt haben. Rede nicht mit ihnen, schau auf den Boden wenn du sie siehst, und wenn sie dir entgegen kommen, dann wechsle am besten die Straßenseite. Sie sind weit weg von ihren Frauen und denken bestimmt, dass die europäischen Frauen alles mit machen. Ah, ah! Sie tun mir ja schon Leid, aber ich habe Sorge um meine Töchter!“, sagt sie und zupft ihr Kopftuch zu Recht. Sie, mit 12 Jahren als Tochter eines Gastarbeiters nach Deutschland gekommen.

In der Kleinstadt meiner Eltern wurden Notunterkünfte für Flüchtlinge aufgestellt. Ein paar Zelte am Ende der Stadt, nahe Autobahnauf-und ausfahrt. Sie, die „Flüchtlinge“ sehe ich zum ersten Mal, als mein Cousin mit seinem BMW an ihnen vorbei fährt um sie mir zu zeigen. Wie als würden wir in den Zoo fahren um Tiere zu begutachten. Sie sitzen mit ein paar Flaschen in der Hand unter einem Baum und winken uns zu als wir an ihnen vorbei fahren. Sie tun nichts. Sie sitzen einfach nur dort, unterhalten sich und trinken etwas.

Ich finde die Reaktionen der Personen mit „Migrationshintergrund“ erschreckend! Ich bin schockiert, empört und tottraurig, als ich höre, wie sie über die Flüchtlinge sprechen. Ich möchte sie an ihre eigenen Erfahrungen, ihre Vergangenheit erinnern, in der  auch sie in die damals noch Fremde gekommen sind, und man sie „Kanake, Dreckstürke/-Araber/-Albaner/-Russe (…) genannt hat. An die Zeiten in der die „Deutschen“ ihre Töchter vor den „Kameltreibern“ warnten, da sie alle sexsüchtige Geier seien. Daran, dass Ghettos errichtet worden sind, in welchen auch ich aufgewachsen bin, da niemand sie in ihrer Nachbarschaft haben wollte.

Und was ist nun? Jetzt gehören sie etwa zu den „Besseren“, zu der „weißen Rasse“, zu der „Elite“? Jetzt fahren sie gute Autos, haben deutsche Nachbarn mit denen sie Tee trinken und besitzen ein Haus. Was ist jetzt? Sind sie jetzt „besser, reiner, sauberer, wohlduftender, gebildeter“ als die Flüchtlinge? Wo bleibt die Erinnerung an die Vergangenheit? Die Erinnerung an die Feindseligkeiten, die sie erleben mussten? Die Erinnerung an die Tage, an denen die Frau und die Kinder Jahre vom Vater getrennt waren, da er hier in Deutschland arbeitete um ihnen ein schönes Leben bescheren zu können?

Werden sie, werden wir, die mit dem „Migrationshintergrund“ etwa die neuen Nazis?!

„Annem’e.“ -Mustafa Islamoglu

Elli yaşına dahi gelseler
Öksüz çocukların ruhu
Annelerinin öldüğü yaşta kalırmış
Hiç büyümezmiş
Öksüz çocuklar
Genç yaşta ölen annelerini geçmemek için
Bunu yaşayarak öğrendim

Babaları baba eden de annelermiş
Anneler öldüğünde
Babalar da hükmen ölürmüş
Daha da beteri
Babalar öksüz çocuklarını
Anneleriyle birlikte diri diri gömermiş
„Hangi suçtan dolayı öldürüldü“

– Mustafa İslamoğlu

(Hocamız annesini üç yaşında iken kaybetmiş öksüz kalmış. En son şiirini 20 yıl önce yazmıştı.)

Quelle:  facebook: Mustafa Islamoglu

Monolog eines Flüchtlings.

„Habe nun, ach! Philosophie,
Juristerei und Medizin,
Und leider auch Theologie
Durchaus studiert, mit heißem Bemühn.
Da steh ich nun, ich armer Tor!
Und bin so klug als wie zuvor;
Heiße Magister, heiße Doktor gar“
(aus Goethe – Faust I)
doch einen Wert hat das alles nicht in diesem fremden Land.

Sitze hier, in einer Einraumwohnung die runter gekommen ist. Lebe mit Fiechern und bösem Geruch in der Nase, weil ich geflüchtet bin.

Hier nun, halte ich dieses Stück Papier in der Hand, welches die Macht hat über mein Leben, über meine Zukunft zu bestimmen.

Bin geflüchtet von Kriegen weit weg von Europa. Zu Fuß bin ich gelaufen, Kilometer weit, bis ich die Grenze der Türkei gesichtet hatte. Empfangen hat man mich mit einer Flasche Wasser. Vor die Wahl wurde ich gestellt: in die Zelte weit ab von Zivilisation, oder auf eigene Faust in die Stadt?! Schwer war die Entscheidung nicht – lange war ich im Krieg ein Nicht-Mensch, nun wollte ich meine Würde wieder.

So bin ich weitergezogen, mit dem Boot, mitten in der Nacht nach Griechenland für das letzte bisschen Geld das ich hatte. Dort empfangen, von nicht sehr netten Männern mit Knüppeln in der Hand. Doch immer mit dem Ziel vor Augen: ich will meine Menschenwürde wieder!
Ein Papier nach dem Anderen habe ich ausgefüllt und unterschrieben. Kein Wort verstanden von all dem.  

In der Heimat: anerkannt, studiert, zu den gern gesehensten Menschen gehört.

In Europa habe ich seit Wochen die selbe Hose an. Bin illegal. Bin wertlos. Bin erstmal nur eine Nummer auf dem Papier. Eine illegale Nummer von vielen!

Nach der Duldung in Deutschland nun noch einmal: dieses Stück Papier soll nun über meine Zukunft entscheiden. Gebe ich alles auf? Alles, was ich mir jahrelang in der Heimat aufgebaut habe, um hier in diesem Raum mit Käfern und bösem Geruch zu leben? Oder unterschreibe ich es nicht, und werde mitten in der Nacht von Männern abgeholt und ganz geheim in einen Flieger Richtung Krieg zurück geschickt, so wie sie es mit vielen meiner Leidensgenossen getan haben?

Ich wollte nur eins, als ich meine Tasche gepackt hatte und begann in Syrien los zu laufen: ich wollte nur meine Menschenwürde wieder.

Bekomme ich das, wenn ich mich für das eine entscheide, oder doch, wenn ich mich für das andere entscheide?

Nun ist es Zeit eine Entscheidung zu treffen.
Wie man im Arabischen sagt: Bismillah – Im Namen Gottes!

Nachtrag:

Dieser Monolog ist im Rahmen eines Theaterprojekts in der Uni entstanden, in welchem ich einen Flüchtling spielte, welcher eine Entscheidung treffen musste. Die Inhalte des Textes sind mehrere wahre Begebenheiten, die mir von Flüchtlingen anvertraut worden sind. Die Flucht über Griechenland, zu Fuß in die Türkei, alleine in einer fremden Stadt. All das machen diese Menschen, unsere Menschengeschwister in Wirklichkeit durch!

Ich bete zum Herrn der Welten, dem Gerechten, dem Liebenden und dem, der Wahrheit sendet, dass sie ihren Frieden finden mögen. Amen.

8372 Morde. Mitten im zivilisierten Europa.

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Errette mich, mein Gott, von meinen Feinden und schütze mich vor denen, die sich wider mich setzen. Errette mich von den Übeltätern und hilf mir von den Blutgierigen. Denn siehe, HERR, sie lauern auf meine Seele; die Starken sammeln sich wider mich ohne meine Schuld und Missetat. Sie laufen ohne meine Schuld und bereiten sich. Erwache und begegne mir und siehe drein. Du, HERR, {…} wache auf und suche heim alle Heiden; sei der keinem gnädig, die so verwegene Übeltäter sind. (Sela.) Des Abends heulen sie wiederum wie die Hunde und laufen in der Stadt umher.  Siehe, sie plaudern miteinander; Schwerter sind in ihren Lippen: „Wer sollte es hören?“ Aber du, HERR, wirst ihrer lachen und aller Heiden spotten. Vor ihrer Macht halte ich mich zu dir; denn Gott ist mein Schutz. Gott erzeigt mir reichlich seine Güte; Gott läßt mich meine Lust sehen an meinen Feinden. Erwürge sie nicht, daß es mein Volk nicht vergesse; zerstreue sie aber mit deiner Macht, HERR, unser Schild, und stoße sie hinunterDas Wort ihrer Lippen ist eitel Sünde, darum müssen sie gefangen werden in ihrer Hoffart; denn sie reden eitel Fluchen und Lügen. Vertilge sie ohne alle Gnade; vertilge sie, daß sie nichts seien und innewerden, daß Gott Herrscher sei in Jakob, in aller Welt. (Sela.) Des Abends heulen sie wiederum wie die Hunde und laufen in der Stadt umher. Sie laufen hin und her um Speise und murren, wenn sie nicht satt werden. Ich aber will von deiner Macht singen und des Morgens rühmen deine Güte; denn du bist mir Schutz und Zuflucht in meiner Not. Ich will dir, mein Hort, lobsingen; denn du, Gott, bist mein Schutz und mein gnädiger Gott.“ (Bibel/Psalm 59)

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„O du ruhige Seele! Kehre zurück zu deinem Herrn wohlzufrieden und mit (Allahs) Wohlwollen. So schließ` dich dem Kreis Meiner Diener an. Und tritt ein in Mein Paradies.“  (Koran/Sure 89 Vers 27-30)

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„Und Allah wird diejenigen retten, die (Ihn) fürchteten, und ihnen Erfolg (verleihen). Weder wird sie das Übel berühren, noch werden sie trauern.“ (Koran Sure 39 Vers 61)

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Ein Koran. Dinge, die in den Taschen der unschuldig ermordeten Menschen gefunden wurde.

Fotos: (c)esimmasallah.wordpress.com (siehe Impressum)

„Sie sprechen aber gut Deutsch!“ – „Ha, Sie aber auch!“

Mit der Bahn auf dem Weg Nachhause  setzte sich ein etwas älterer Herr mir gegenüber. 

Zu Beginn musterte er mich nur etwas, doch ich machte mir nichts daraus, da ich das schon gewohnt bin. Nach einer Weile sah ich zu ihm und schenkte ihm einfach ein Lächeln. 

Als hätte er nur darauf gewartet legte er sofort los: „Das Wetter heute ist aber schön, nicht?“, fragte er mich. Noch bevor ich antworten konnte, er weiter: „Sie haben aber ein nettes Tuch an. Woher kommen Sie denn?“ 

Ich, mit einem freundlichen Lächeln: „Aus Heilbronn komme ich.“ 

Diese Antwort hatte der Herr offensichtlich nicht erwartet. Er schaute erst etwas verwirrt, lies sich aber davon nicht von seiner Linie abbringen. „Aus der Türkei, oder?!“ 

Wieder mit einem Lächeln, ich: „Ja, wenn Sie meine Eltern meinen, die sind ursprünglich aus der Türkei, ja.“ 

Da hatte er seine für ihn zufrieden stellende Antwort. Ich fand es eigentlich ganz süß, da ihn das zu begeistern schien. Er erzählte mir, dass er vor etwas 30 Jahren nach dem Bund ein Auto mit seinem Kollegen gemietet hatte und dann quer durch die Türkei fuhr. Jede Stadt in der er war erwähnte er und fragte gleich nach, ob ich denn auch schon dort gewesen bin. Ich musste leider jede einzelne Stadt verneinen. 

Wir unterhielten uns lange und nett mit diesem Herrn. Ich fand es interessant, was er so erzählte. 

Später, an meiner Haltestelle angekommen bedankte ich mich für das nette Gespräch und wünschte ihm einen schönen Tag. 

Der Herr lächelte mir nett zu und meinte: „Was ich noch sagen will: Sie sprechen aber sehr gut Deutsch! Beeindruckend!“ 

Ich lächelte breit  zurück und antwortete: „Ha! Danke, Sie aber auch!“

Die Vielfalt mit Ahmet und Hans im Sandkasten.

In meinem Studium haben wir ein Seminar mit dem Titel „Diversity Education“. Man kann es auch Vielfaltspädagogik nennen.

Das Ziel in diesem Seminar ist es, neben Theorie und wichtigen Pädagogen, zu lernen, wie man PädagogInnen, Eltern aber auch Kinder für Vielfalt, Interkulturalität und Fremdheit „sensibilisieren“ kann.

Im Seminar hatte ich nach 3 Vorlesungsstunden, in dem der Prof. den Diversitätsbegriff lang und breit erklärt hatte, einen kleinen Einwand:

Ich frage mich, was denn das wirkliche Ziel von diesen Diversitytrainings und ähnlichen Dingen sind, und wohin das führt bzw. führen soll. Vor allem bei Kindern.

Wenn Ahmed und Hans im Sandkasten miteinander spielen ist es Hans egal, ob Ahmed türkische Wurzeln hat, und Ahmed ist es egal, ob Hans Deutsch ist. Ihnen ist in dem Moment nur wichtig, wer die Schaufel zum Graben bekommt.

Dann kommt die gut für Interkulturalität und Vielfalt ausgebildete Fachkraft, die absolut weiß was sie tut und sagt etwas wie:

Hey, Jungs ich verrate euch jetzt mal was;
Hans, weißt du, der Ahmet ist anders als du. Weil er hat einen türkischen „Migrationshintergrund“. Dies bedeutet, dass er laut Lehrbüchern ein Risikokind ist, und wahrscheinlich auch andere Risikofaktoren wie ein sozial schwaches Umfeld, mehrere Geschwister und vieles mehr auf ihn zutreffen. Das heißt, laut Lehrbüchern dürfte aus ihm eigentlich nicht sehr viel werden. Zudem wird er dich wahrscheinlich machohaft anmachen, wenn du ihm nicht die Schaufel gibst, wenn er sie will.

Ahmet und weißt du, der Hans, der ist Deutsch. Also hat er keinen „Migrationshintergrund“ sowie du. Er braucht also keine besondere Betreuung und Förderung wie du, weil er kein Risikokind ist. Laut Lehrbüchern ist er kein Risikokind und aus ihm dürfte etwas werden.

Aber kein Problem! Unser Pädagogikverständnis ist so toll, dass ich das sofort wieder regeln kann. Ich kann euch nämlich dafür sensibilisieren!

*

Kindern die absolut keine Unterschiedlichkeit in unserem Verständnis aneinander wahrnehmen und dies absolut nicht als Differenz sehen, suggerieren wir im Deckmantel der „Interkulturellen Bildung und Diversity-Pädagogik“, dass sie unterschiedlich und zum Teil „anders“ sind.

Etwas das eigentlich gleich ist, „ENT-gleichen“ wir mit diesem Verhalten, wie es die Soziologie nennt. Man spaltet und trennt um es dann mit Sensibilisierung wieder gleich machen zu können. Beachten aber nicht, dass uns das nie gelingen wird, weil die Spaltung zuvor kam.

Das Ziel von Vielfaltspädagogik sollte es sein, dass es in dieser Form keine Vielfaltspädagogik mehr gibt!
Ich möchte irgendwann in einen Raum treten, und nicht nur als Muslima, oder „hm, wahrscheinlich Araberin? Türkin?“ wahrgenommen werden, sondern als das, als die ich dort anwesend bin. Studentin, Schreiberin, angehende Pädagogin, Jugendarbeiterin und vieles mehr.

Ziel der Diversity Education sollte es sein, dass keine Sensibilisierung mehr nötig ist. Denn sie ist nur nötig, wenn zuvor gespalten worden ist.

Ähnliche Themen:

https://esimmasallah.wordpress.com/2015/01/13/migration/

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Alle anders – alle gleich.

Unbenannt

Ich fand‘ dieses Bild so wunderschön und aussagekräftig, dass ich es mit euch teilen möchte. 

Alle anders alle gleich! Gemeinsam lachen, singen, tanzen, lieben und glauben! 🙂 

Aus dem Video von Sami Yusuf – It’s a Game.

Gesegneten Ramadan an die muslimischen Geschwister weiterhin!

Feridun Zaimoğlu: Norddeutscher mit Migränehintergrund.

zaimoglu

Am Dienstag war ich im Literaturhaus Stuttgart und habe dort eine Podiumsdiskussion und Lesung von Feridun Zaimoğlu (Schriftsteller) und Dr. Yaşar Aydın (Sozialwissenschaftler) gehört.

Der Grund für meinen Besuch an dieser Veranstaltung war Feridun Zaimoğlu. Ich habe einige Interviews von ihm gesehen und habe gemerkt, dass seine Meinung zur Thematik der Migration, der Ausländer, zur „interkulturellen“ XY dieselbe ist, wie die meine.

Auf die Einstiegsfrage der Moderatorin was denn Heimat für sie persönlich bedeute, antwortete der Sozialwissenschaftler etwas länger. Er könne diese Frage nicht mit einem Prozentsatz beantworten, meinte er. Er speise von beiden Kulturen, und fühle sich zu beiden zugehörig. Er holte weit aus, thematisierte die Ganze Identitätsthematik und sagte wieder: ich speise aus beiden Fässern.

Als die selbe Frage an Zaimoğlu gerichtet wurde, hielt er kurz inne und sagte ganz einfach und bestimmt: Norddeutschland.

Das faszinierte mich. Ich dachte mir in diesem Moment nur: endlich jemand, der nicht anfängt mit der Migrationsgeschichte, seiner innerlichen Zerrissenheit zwischen zwei oder mehreren Kulturen und seiner Opferrolle des Heimatlosen „Türken“. Ganz einfach. Eine einfache Frage. Eine einfache Antwort.

Später erzählte Zaimoğlu von seiner Jugend und den „Türken“ die damals begannen, ihre Art und Weise zu ändern, um zu den „Anderen“, in dem Falle die „Deutschen“, zu gehören. Er beschrieb ihre „wie an einem Lineal entlang geschnittenen Haare mit Seitenscheitel“ und ihre „langweilige“ Art. Er bezeichnete diese Personen als „Ethno-Zombies“, und beschuldigt sie damit, die Identitätskrise ausgelöst zu haben. So wollte er nie sein und will er nie sein.

Später als ich die Möglichkeit nach der Lesung fand, sprach ich Feridun Zaimoğlu an und bedankte mich für seine einfache Antwort „Norddeutschland“. Ich fand es beeindruckend, dass jemand sein Selbst gefunden hat, ohne die äußeren Einflüsse so sehr in sein Unterbewusstsein zu lassen, dass er auf so eine Frage, die auch für „uns mit Migrationshintergrund“ endlich einmal einfach zu beantworten sein sollte, auch einfach antwortete. Nach einer kurzen Unterhaltung darüber, fragte ich ihn, in Anlehnung an ein altes Interview, in welchem er über die Begriffe „Kanake“ und „Türke“ diskutierte, was er denn von den neuen Begriffen wie „Migrationshintergrund“ halte.
Er lächelte mich an, wartete kurz und sagte: „“Migrationshintergrund“ erinnert mich an Migräne! Finde ich scheiße.“

Ich war auch froh darüber diese Antwort zu hören.

Ich empfinde diese Begrifflichkeiten als Hindernis für eine „gelungene Integration“, wobei der Begriff „Integration“ für mich auch ein Hindernis darstellt. Diese Begrifflichkeiten sind für mich kaum was anderes als eine Differenzierungsmöglichkeit im politischen, soziologischen, ethnologischen und sozialwissenschaftlichen Rahmen. Es macht es einem nicht einfach. Es macht es einem schwer.

Früher war es normal einen türkischstämmigen Menschen als „Kanaken“ zu bezeichnen. Irgendwann wurde das politisch unkorrekt und man sagte „Türke“. Auch das wurde irgendwann politisch unkorrekt und man sagte „Ausländer“. Und heute ist es der mit dem „Migrationshintergrund“.

Für mich haben die Worte „Kanake“ und „Migrationshintergrund“ keinerlei Unterschied in ihrer Bedeutung, da sie beide dasselbe anrichten: trennen, spalten, differenzieren und erschweren. Nur, das Eine wurde vor 20 Jahren gesagt, das Andere heute. Vom „Kanaken“ zum „mit Migrationshintergrund“ also. 

Zaimoğlu sagte gegen Ende dieser thematischen Auseinandersetzung in etwa: „Lieber nenne ich mich „fremdstämmig“ als „mit Migrationshintergrund“.
Ich finde das unglaublich mutig und gut.

Zaimoğlu sieht sich als Norddeutscher. Das sagt er ganz klar. So wie ich immer sagte, dass ich mich als Deutsche sehe. Er erwähnt während der Lesung oft, dass er ein großes Problem darin sehe, dass das „Deutsche“ immer das „zu Überwindende“ für die Jugendlichen dargestellt wird, oft auch von Gemeinden.

Das was er verinnerlicht hat, möchte ich in meiner Arbeit an die Jugendlichen und Kinder weiter geben. Es sich nicht unbedingt schwerer zu machen, als es schon ist, nur weil es sozio-politische Begrifflichkeiten gibt, die meiner Meinung nach bewusst zur Trennung führen sollen, sondern auf eine einfache Frage, eine einfache Antwort geben zu können. Dafür kämpfe ich.

Und wie Zaimoğlu am Dienstag mir in die Augen blickend sagte:
Ich liebe den Kampf. Kämpfen ist was tolles! Und ich sehe dir an, du hast viel gekämpft und kämpfst gerade in diesem Moment. Und dein Kampf wird noch lange gehen und er wird nicht einfach sein. Dafür wünsche ich dir viel Kraft. Aber der ständige Traum von Harmonie ist nicht real. Kämpfen – kämpfen ist was Echtes!“

Zu ähnlichen Thematiken:
https://esimmasallah.wordpress.com/?s=migration
https://esimmasallah.wordpress.com/2014/12/15/ich-bin-das-volk/
Foto: Deutsch Türkisches Forum Stuttgart

Ramadan 1436/2015.

Ich wünsche allen meinen muslimischen Geschwistern einen segenreichen und entgiftenden Fastenmonat für Körper, Geist und Seele!
Möge unser‘ Fasten nicht nur auf das Körperliche beschränkt bleiben, sondern vom Magen hoch gehen, in die Zunge, damit wir mit dem Wort fasten, in die Augen, damit wir mit dem fasten, was wir an schädlichem ansehen, runter in die Hände, damit wir an unseren schlechten Taten fasten und  in die Beine und Füße, damit wir unschöne Orte fasten, zu denen sie uns tragen (müssen). 

Eine kleine Sache, die wir in unserer Familie eingeführt haben und seit einigen Jahren umsetzen. 

Sinn des Fasten ist es nicht, den Tag über nichts zu essen und am Abend zu essen, als sei man ein König, der nicht genug haben kann. Vielleicht möchten wir unser Iftar-Essen klein halten. Eine leichte Suppe, nur EIN Hauptgericht und was Süßes am Ende. Und das Wichtigste, nichts weg schmeißen! Es ist leider so, dass wir vor allem am Ramadan extrem viel Essen weg werfen – das ist absolut nicht der Sinn der Sache. 

In der Familie machen wir für jeden Tag nur ein Hauptgericht, und wenn am nächsten Tag noch was übrig ist, essen wir wieder dieses Essen. Vielleicht möchtet ihr das auch einführen. Oder sowas ähnliches. 

Lange Rede kurzer Sinn: den Sinn des ganzen nicht vergessen – einen Monat voller Liebe und Licht wünsche ich! 

An meine nicht-muslimischen Freunde – es ist alles gut. Wir haben schon viele andere Fastenmonate überlebt. Auch diesen werden wir durchstehen. Geht doch gerne mal am Abend zum Fastenbrechen zu euren musl. Freunden. Ich bin mir sicher, ihr werdet es gut haben! 🙂 

Im letzen Jahr schrieb ich zwei längere Texte zum Ramadan (einfach drauf klicken):

Teil I: https://esimmasallah.wordpress.com/2014/06/20/der-ramadan-kommt-teil-i/
Teil II: https://esimmasallah.wordpress.com/2014/06/23/der-ramadan-kommt-teil-ii/

Sei doch dankbar, dass du hier überhaupt studieren/zur Schule darfst.

meyeBildquelle: Meryem Bercin – meyebe.wordpress.com

Ich habe in letzter Zeit wieder viele Gespräche darüber geführt, wie meine früheren LehrerInnen mit mir, meiner Religionszugehörigkeit und vor allem mit meinem Kopftuch umgegangen sind.

Mir ist eine Gegebenheit eingefallen, in der eine Lehrerin das Kopftuch „kritisierte“ und ich versuchte gegen ihre „Kritik“ zu argumentieren. Irgendwann (als ihr nichts mehr einfiel) sagte sie:

„Weißt du Eşim, sei doch dankbar, dass du überhaupt hier zur Schule gehen darfst. Wenn du da wärst, wo du herkommst, dürftest du wahrscheinlich als Mädchen gar nicht die Schule besuchen.“

Ich glaube das war irgendwann in der 7. Klasse.
Ich wusste gar nicht, dass Mädchen aus der Kleinstadt (in Deutschland!) aus der ich komme die Schule nicht besuchen dürfen. Erschreckend!

Als ich auf der Oberstufe war und mit einem meiner Lehrer über Diskriminierung bei der Studienplatzvergabe (ja, so einen Fall gab es damals) von Mädchen mit Tuch sprach, meinte er mit ernster Miene: „Ich weiß gar nicht, wieso sich manche so anstellen. In der Türkei, wo ihr doch herkommt, dürftet ihr mit Tuch gar nicht erst das Uni-Gelände betreten. Studiert doch einfach irgendwas, nicht jeder kann das bekommen was er möchte. Hier dürft ihr wenigstens studieren.“

Abgesehen davon, dass die Lehrerin in der 7. Klasse und der Lehrer aus der Oberstufe (noch) nicht verstanden haben, dass „da wo ich herkomme“ eine Kleinstadt in Deutschland ist, war ihre Argumentation immer die, dass wir doch dankbar für das sein sollten, was „wir“ hier alles dürften.

„Wir“ = „Die mit Kopftuch, die von ‚woanders‘ herkommen“

Heute ist mir eine Passage aus der Autobiografie von Malcolm X eingefallen, mit der ich zu diesen Meinungen Stellung beziehen möchte:

„…oder dass eine Universität im Süden einen  schwarzen Studienanfänger eingeschrieben hatte, ohne dass die Nationalgarde ihre Bajonette aufpflanzen musste. Wenn ich so „abschweifte“, dann zappelte der Moderator am Haken: „Ahhh! Nun, Mr. Malcolm X –  Sie können nicht leugnen, dass das ein Fortschritt für Ihre Rasse ist!“
Das war der Moment, die Leine stamm zu ziehen: „Ich kann nicht einen einzigen Schritt tun, ohne mit etwas über ‚Fortschritte bei der Verwirklichung der Bürgerrechte‘ anhören zu müssen! Weiße glauben anscheinend, der Schwarze müsste in einem fort „Halleluja“ jauchzen! Seit vierhundert Jahren steckt das Messer des weißen Mannes im Rücken der Schwarzen – und jetzt fängt der Weiße an, das Messer ein winziges Stück herauszuziehen. Dafür sollte der Schwarze dankbar sein? Nun, selbst wenn der Weiße das Messer in einem Ruck ganz herauszöge, es bliebe immer noch eine Narbe zurück.““

(Malcolm X – Die Autobiografie, S. 285)

Ich weiß, dass das ein krasser Vergleich ist, aber das Denken und die Herangehensweise ist meiner Meinung dieselbe.